Auf der Suche nach der gesellschaftlichen Konstante in der derzeitigen Politik kommt man an zwei Worten nicht vorbei. Es sind dies „Alternativlosigkeit“ und „Solidarität“. Beide zusammen werden – um die Diskussionen zu verkürzen oder einfach, weil ihren Verfechtern die Argumente ausgegangen sind – zunehmend hysterisch benutzt. Um es klar zu sagen: den Menschen wird Angst eingejagt: vor dem kommenden Klima, vor Atomkraftwerken, vor dem Zerfall der EU, der gleichbedeutend mit Krieg sei, vor dem bösen Putin, vor Ungeimpften und natürlich vor der pandemischen Lage von nationaler Tragweite.
Die politische, vor allem aber die mediale Attitüde lässt oft gar keinen Widerspruch mehr zu, ja sie verweist den Widersprechenden – gleich welche Qualifikation seine Person und seine Argumente mitbringen – ins Lager der Leugner, wobei das absichtlich nach Ketzer und Volksschädling klingen soll. Man könnte nun fragen: Haben die Deutschen aus zweimal zuviel Gleichschritt nichts gelernt? Gleichschritt inklusive Denunziation und Ausgrenzung. „Wir“ gegen „Die“ – damit beginnt es. Schon im Mittelalter wurden auf deutschem Boden mehr Hexen verbrannt als im ganzen restlichen Europa zusammen. Heute beeilt sich selbst die Kirche, diesen Irrtum mit allerlei Verbrämungen zu versehen. Aber der Irrtum ist überall. Er kostet Menschenleben, zum Beispiel das der Söhne und Töchter unserer Bundeswehrsoldaten, die eine zeitlang „unsere Freiheit am Hindukusch verteidigen“ sollten. Ein politisches Hirngespinst, das den Steuerzahler überdies 12 Milliarden Euro gekostet hat, ein verfehltes Projekt aus Ideologie und Realitätsverweigerung – ein Irrtum.
Man kann das irrtümliche Verfechten statischer Annahmen fortsetzen, mit oder ohne Hinweis darauf, dass wir uns in sehr dynamischen Systemen bewegen. So hat die Weiterforschung an der Atomkraft nicht nur dazu geführt, dass von ihr heute verursachter Abfall energetisch fast vollständig genutzt werden kann, ja sogar Endlagerstätten überflüssig wären. Atomkraft erlebt auch deshalb eine weltweite Renaissance, weil sie saubere und sichere, grundlastfähige Energie liefern kann. Angela Merkel hat damals mit einer Ethikkommission – allesamt waren sie nicht vom Fach – den Atomausstieg im Alleingang entschieden. Ein deutscher Sonderweg und ein industriepolitischer Irrweg.
Ja, Menschen können irren. Mit ihren und vor allem in ihren Positionen. Deswegen muss der gesellschaftliche Diskurs leben, deswegen müssen Kontroversen in allen existenziellen Fragen erlaubt sein. Eine freiheitliche Gesellschaft, in der per Diktat Handlungen mit Eingriffen in die Selbstbestimmung vorgeschrieben und Zuwiderhandlungen bestraft werden, ist undenkbar. Unser Grundgesetz ist nicht die Verfassung von Weimar und ist in Kenntnis der alles zersetzenden Notverordnungen geschrieben worden. Es entscheidet sich immer für die Freiheit. Für sie sind 1989 Millionen auf die Straße gegangen. Und es gehört zu den Anachronismen der Geschichte, dass ausgerechnet der linke Werkzeugkasten zur Etablierung von Illusion, Irrtum und Unrecht nun wieder salonfähig werden soll.
Wenn eine Impfung Schutz bietet, wird sie überzeugen. Wenn sie vor schweren Verläufen schützt, wird sie überzeugen. So ähnlich wie das Auto als modernes Transportmittel die Besitzer von Pferdekutschen mit seinen Vorzügen überzeugt hat. Dieser Prozess der Anerkennung ist keiner, der mit Strafen arbeiten darf – wenn er langfristig erfolgreich sein will. In einer freiheitlichen Demokratie verbietet er sich vollends.
Denn der Zweifel ist angebracht, nicht nur generell als Vater des Erfolges, auch speziell in der sog. Corona-Politik. Sie ist so konfus und von Irrtümern durchzogen wie nur irgend denkbar. Die Halbwertzeit von im Brustton der Überzeugung vorgetragenen Entscheidungsgrundlagen ist in den letzten Monaten zusammengeschmolzen wie Restschnee in der zarten Frühlingssonne. Hätte man auch nur einen Bruchteil des im ersten Lockdown verbrannten Geldes für Gehaltsverbesserungen beim Pflegepersonal eingesetzt, wären wohl die letzten 5000 abgebauten Intensiv-Betten samt Personal im Gesundheitssystem erhalten geblieben. Und noch etwas: „Flatten the curve“, das gleichmäßige Verteilen von Infektionen (die zur Erreichung der Herdenimmunität unabdingbar sind!) auf viele der letzten 18 Monate hätte Infektionsspitzen wie derzeit natürlich verhindern können. Länder, die so verfahren sind, stehen heute viel besser da. Stattdessen hat man noch im Sommer vom Erfolg der „No-Covid-Strategie“ geträumt und Veranstaltungen teilweise auch bei Inzidenzen um 10 noch kritisch beäugt oder verboten. Ein weiterer Irrtum. „Da wird Stimmungsmache betrieben“: selbst Kassenärzte-Chef Gassen wirft „einigen Politikern und Experten“ vor, die derzeitige Corona-Situation zu dramatisieren.
Wenn Kinder selbst nur leicht erkranken, geimpft aber das Virus ebenso gut übertragen wie ungeimpft, ist es doch höchst diskutabel für Eltern, ihre Kinder einem notfallzugelassenen Impfstoff samt der dazugehörigen Nebenwirkungen zu überlassen. Das ist der steinige Weg der Irrtumskorrekturen: Von “die Impfung ist langfristig wirksam und sicher”, zu “die Impfung schützt vor Ansteckung zu 100 Prozent”, zu “die Impfung schützt in den meisten Fällen vor Ansteckung und ist mindestens ein Jahr wirksam”, zu “die Impfung schützt vor schweren Verläufen und ist 9 Monate wirksam”, zu “die Schutzwirkung der Impfung lässt nicht nur hinsichtlich der Infektionsgefahr nach, muss alle paar Monate erneuert werden und schützt immer weniger vor schweren Verläufen und Tod.” Ein Desaster!
Die zum Teil völlig konträre Situation in Ländern mit noch höheren Impfraten ließe sogar den Schluss zu, dass Impfungen auf das Infektionsgeschehen überhaupt keinen nennenswerten Einfluss haben, denn es lässt sich an keinem Indikator festmachen, wieso sich zum Beispiel die Situation in Gibraltar oder Portugal derzeit so dramatisch darstellt, während sie im Nachbarland Spanien noch relativ entspannt ist.
Man lässt sogar bis zum heutigen Tage Geimpfte ungetestet und ohne Einschränkungen herumlaufen, obwohl längst klar ist, dass sie sich genauso wie Ungeimpfte infizieren und andere Geimpfte anstecken können. Gesunde Ungeimpfte will man aber in Lockdowns schicken, und es wird angedacht, sie entweder zwangsweise zu impfen, oder bei Weigerung zu internieren, damit sie keine Geimpften anstecken können. Das ist kein Irrtum mehr, das ist Irrsinn. Unvereinbar mit den Werteprinzipien unseres Landes, unvereinbar mit dem Nürnberger Kodex für Medizinethik und unvereinbar mit der Entschließung des Europarates vom 27.Januar 2021, nach der es unter 7.3.1. heißt: „Es ist sicherstellen, dass die Bürger darüber informiert werden, dass die Impfung NICHT verpflichtend ist und dass niemand politisch, gesellschaftlich oder anderweitig unter Druck gesetzt wird, sich impfen zu lassen, wenn er dies nicht selbst möchte“.
Wenn selbst einer der Erfinder der mRNA-Technologie, Dr. Robert Malone, die Impfung für die Mehrheit der Menschen für unnötig hält, tut er das, weil nach Betrachtung der Datenlage aus Israel die relative Risikoreduktion der Ansteckung bei 39 bis 60 Prozent liege, in Abhängigkeit von der Studie. Die ursprünglich angepriesenen Reduktionsraten von über 90 Prozent seien längst nicht mehr vorhanden.
Es bleibt bei meinem Appell an die Vernunft. Gerade wir in Deutschland, mit unserer von Leid und besonderer Verantwortung geprägten Geschichte repressiver Grundrechtseingriffe, sollten endlich aus der von Panik, Hysterie und Sündenbocksuche geprägten Diskursunfähigkeit herausfinden. Die Menschen haben in unserer Gesellschaft keine Alternative zu Freiheit und Verantwortung. Die daraus resultierende Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung schließen sogar das Recht auf Irrtümer ein. Wie die Politik zeigt.
„Habe den Mut, Deinen eigenen Verstand zu gebrauchen!“ sagt Kant – und war den Obrigkeiten immer ein Dorn im Auge. Wir können davon ausgehen, dass jeder mündig genug ist, das Richtige für sich und seine Familie zu tun.
Matthias Moosdorf MdB, 01.12.21