Gastkommentar von Dipl.- Volkswirt Dr. Benno Bulitta: Europa – quo vadis? Zurück zum Grundsatz der Subsidiarität! Eine kritische Bilanz nach 35 Jahren

Ein Gastbeitrag von Dr. Benno Bulitta*

Einer meiner wirtschaftspolitischen Artikel in der Börsen-Zeitung, für die ich vom Veranstalter ein großes Lob bekommen hatte, stammt aus dem Jahr 1989. Im Mai 1989 hat damals der Vorstandssprecher der Deutschen Bank Alfred Herrhausen (1930-1989) – ein halbes Jahr vor seiner Ermordung durch die RAF im November 1989 – in Nürnberg eine vielbeachte Rede gehalten. Im Schlussteil meines Artikels in der Börsen-Zeitung stand folgendes Zitat von Herrhausen:

„Europa 1992, die Öffnung im Osten, der Aufbruch Asiens, die Nord-Süd-Problematik und die ökologische Frage, die alle zur gleichen Zeit auf die Wirtschaft einwirken, seien eine ‚Herausforderung, wie wir sie noch nie in der Geschichte gehabt haben‘.

Die Lösung für die Bundesrepublik Deutschland als Produktionsstandort hieße: Zurück zum Grundsatz der Subsidiarität. Der Staat solle nur dort einspringen, wo der einzelne wirklich ‚überfordert‘ sei. Herrhausen: ‚Wir müssen zurück zur individuellen und weg von der kollektiven Verantwortung.‘

In diesem Klima werde die Bundesrepublik ihre Stärken ausbauen und ihre Schwächen abbauen können. Für diesen Prozess sehe er in der Bundesrepublik nach wie vor gute Chancen.“ (Zitat Ende)

Heute im Jahr 2025 wird klar, dass sich die Europäische Union zu einem gigantischen Macht-Apparat aufgebläht hat, der das Gegenteil von Subsidiarität ist und den Souveränitätsverlust der Nationalstaaten sichtbar macht. Hier einige Aspekte:

  1. Die Übertragung von Hoheitsrechten, wie zum Beispiel in der Währungspolitik: Durch die Einführung des Euro haben die Staaten in der Eurozone ihre nationale Währungshoheit an die europäische Zentralbank abgegeben. In der Handelspolitik agiert die EU als Einheit, was zunächst einmal nicht unbedingt negativ sein muss. Im Binnenmarkt gelten die Regeln der EU wie zum Beispiel der freie Personen-, Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr, welche die nationalen Gesetzgebungsspielräume einschränken. Im Wettbewerbsrecht überwacht die EU-Kommission den Wettbewerb und kann gegen staatliche nationale Beihilfen oder Monopole vorgehen, die einheimische Unternehmen begünstigen. Auch in der Landwirtschaft und Fischerei sind die Politikfelder weitgehend kollektiviert worden.
  2. Das EU-Recht hat heute Vorrang vor der nationalen Gesetzgebung. Demnach dürfen nationale Gesetze, die im Widerspruch zum EU-Recht stehen, nicht angewendet werden. In diesem Kontext steht meines Erachtens auch das KFZ-Verbrenner-Verbot mit der Zerstörung der deutschen Autoindustrie – vorgegeben von einer EU-Kommission, die nicht durch Wahlen vom Volk legitimiert wurde, was den Grundsätzen der Demokratie widerspricht.
  3. In vielen Politikbereichen finden Mehrheitsentscheidungen im Rat der Europäischen Union Anwendung. Damit wird klar, dass ein einzelner Mitgliedstaat gegen seinen Willen überstimmt werden kann, weil das Einstimmigkeits-Prinzip im Vertrag von Lissabon in vielen Bereichen aufgeweicht wurde.
  4. Die EU hat auch einen kontrollierenden Einfluss über die nationalen Staatshaushalte, weil ‚die Stabilität der Eurozone‘ gewährleistet werden muss.

Dies alles ist definitiv eine Abkehr vom Subsidiaritätsprinzip, das Herrhausen, als einer der seinerzeit bedeutendsten Wirtschaftsführer forderte.

Die Abkehr von diesen Prinzipien hat in der Bevölkerung zunehmend zu einer Frustration geführt. Die heutige Entwicklung hat nichts mit den damaligen Zielen der europäischen Einigung und Völkerverständigung zu tun.

Dabei stellt sich die Frage, ob diese realistische freiheitlich-liberale Einstellung von Herrhausen den Befürwortern einer Stärkung der Macht in der EU damals schon ein Dorn im Auge war.

Und wer sich heute dem Mainstream entgegensetzt, wird zwar (hoffentlich) nicht durch eine Autobombe beseitigt, sondern viel subtiler mit Diffamierungen als rechtsradikal, durch Ausgrenzung, Brandmauern und einem Parteiverbot bedroht.

Die europäische Union ist inzwischen ein Machtapparat, der nicht vom Volk legitimiert wurde und dem das Volk eigentlich egal ist. Denn das vom Volk gewählte EU-Parlament hat nur einen geringen Einfluss auf die Politik der Kommission, deren Mitglieder durch die Absprachen der nationalen Regierungen bestimmt werden und nicht vom Volk legitimiert wurden. Es wird Zeit, dass wieder das Subsidiaritätsprinzip gilt und die im Grunde guten und friedensstiftenden Ansätze der EU sich auf das beziehen, wofür sie seinerzeit geplant waren. Es wird Zeit, sich auf den Begriff von Konrad Adenauer zurückzubesinnen: Ein Europa, der Vaterländer, also eine Form der europäischen Integration, die auf einer Zusammenarbeit von souveränen Nationalstaaten basiert, ohne eine supranationale Union anzustreben. Denn die Nationen müssen, so Adenauer, ihre jeweiligen nationalen Identitäten und Souveränitäten behalten.

Es geht jetzt darum, dass sich die Nationalstaaten auf die Grundidee der europäischen Einigung und auf den Binnenmarkt konzentrieren und nicht allen Menschen vorschreiben, welches Auto sie zu fahren haben, welche Heizung sie verwenden müssen und ob sie nicht auch aus Plastikstrohhalmen trinken dürfen. Diese Beispiele lassen sich beliebig vermehren.

*Dr. Benno Bulitta, Jahrgang 1950, ist promovierter Volkswirt, war Geschäftsführer einer Finanzakademie, Gastprofessor in Stettin und kommunalpolitisch für die CSU aktiv.

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