Der frühere „Bild“-Politikchef Einar Koch hält es keineswegs für ausgemacht, dass der zehnte Kanzler der Bundesrepublik Deutschland Friedrich Merz (CDU) heißt. Spuckt ihm Markus Söder (CSU) noch kräftig in die Suppe? Der DK-Gastautor hält das für möglich. Denn: Rache ist eine Speise, die man kalt genießt!
Eine Analyse von EINAR KOCH*
„Nach dem Spiel ist vor dem Spiel.“ Es waren Worte für die Ewigkeit, gesprochen von der deutschen Nationaltrainer-Legende Sepp Herberger. Übertragen auf die Politik gilt: Nach der Wahl ist vor der Wahl- genauer: Nach der Neuwahl ist vor der Neuwahl!
Denn: Ein Merz macht noch keinen politischen Frühling! Der Ausgang der Bundestagswahl ist bei wohlwollender Betrachtung das „second worst“-Szenario. Abzuwarten bleibt, ob der „worst case“ in Gestalt von Schwarz-Rot- „Grün“ nicht doch noch eintrifft, falls die Wagenknecht-Partei das Wahlergebnis wegen des Briefwahl-Chaos erfolgreich anfechtet und bei Nachwahlen die Fünf-Prozent-Hürde überspringt. Das würde die Sache dreifach komplizieren – genau genommen sogar vierfach komplizierter machen. Denn CDU und CSU treten bei Koalitionsverhandlungen als eigenständige Parteien an.
Aber bleiben wir der Einfachheit halber bei den jetzigen Ausgangsdaten: Eine schwarz-rote Koalition, wie sie der deutlich unter dem erhofften Ergebnis zurückgebliebene Schein-Wahlgewinner (mitnichten Sieger) Friedrich Merz anstrebt, käme zwar auf eine 13 Stimmen-Mehrheit – aber ist diese politisch tragfähig?
SPD-Basis kocht vor Wut
Dahinter darf man getrost mehr als nur ein Fragezeichen setzen. Abzuwarten bleibt überdies, ob der politische Trickbetrüger Friedrich Merz überhaupt eine Kanzler-Mehrheit im 21. Deutschen Bundestag zustande kriegt, sollte es – Vorbedingung – zu einer vertragsmäßigen Neuauflage einer schwarz-roten Chaos-„GroKo“ Merkelscher Prägung kommen. Wobei „GroKo“ angesichts einer 45-Prozent-Koalition allein schon sprachlich der reinste Etiketten-Schwindel ist.
Eine neue schwarz-rote Chaos-Regierung halte ich keineswegs für ausgemacht: 1. Fast jeder zweite Genosse kehrt nicht in den Bundestag zurück, die SPD-Basis kocht vor Wut. 2. Die neue dezimierte SPD-Fraktion ist noch linker als die alte. 3. Ein schwarz-roter Koalitionsvertrag steht unter dem Vorbehalt einer Mitgliederbefragung, deren Ausgang völlig offen ist. Die Genossen haben das schlechteste Ergebnis aller Zeiten eingefahren. Hat man da den Auftrag zu regieren? Das werden sich nicht nur die Jusos fragen!
Was plant CSU-Wendehals Söder?
Spätestens an dieser Stelle kommt der CSU-Finsterling Markus Söder ins Spiel. Dessen CSU hat zwar alle 47 Direktmandate in Bayern gewonnen; die Christsozialen dürfen aber aufgrund der Ampel-Wahlrechtsänderung entsprechend ihrem Zweitstimmenanteil (der ebenfalls hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist) nur 44 Abgeordnete in den 21. Deutschen Bundestag entsenden.
Hinter den Hauptstadt-Kulissen wird bereits folgendes Szenario geflüstert: Sollte Merz bei der Kanzlerwahl scheitern bzw. sollte es gar nicht erst dazu kommen, wäre es dem Wendehals Söder zuzutrauen, dass er selbst die „Brandmauer“ zur AfD einreißt. Darin und in womöglich abermaligen Neuwahlen könnte für den CSU-Chef die letzte Chance liegen, den nie aufgegebenen Kanzlertraum doch noch zu verwirklichen!
Da geht mehr, Frau Weidel!
Die AfD jedenfalls müsste Neuwahlen nicht fürchten. Da geht noch mehr, Frau Weidel! Machen wir uns ehrlich: Die AfD hat am Sonntag zwar ein hervorragendes Ergebnis geholt, sie ist dennoch deutlich hinter ihrem demoskopischen Potential von 30 Prozent zurückgeblieben. Weidel selbst hat in ihrem Bodensee-Wahlkreis gegen den CDU-Bewerber, zurückhaltend formuliert, äußerst bescheiden abgeschnitten. Dass für die AfD insgesamt mehr drin war, vor allem im Westen der Republik, ist längst ein Thema in den Landesverbänden und im Führungszirkel der Bundespartei.
Doch zurück zur Union: Dass Söder Friedrich Merz noch kräftig in die Kanzlersuppe spucken könnte, lässt sich daran erahnen, dass die Christsozialen den Möchtegern-Kanzler bei dessen Schuldenbremsen-Putsch auflaufen lassen.
Rache genießt man kalt
Ach ja, ist Ihnen auch aufgefallen, dass die Wahlverlierer Olaf Scholz (SPD) und Robert Habeck („Grüne“) im Angesicht ihres Wahldebakels ihr bräsiges Schmunzeln nicht abgelegt haben – so, als wüssten sie mehr?
Fakt ist: Nach dem Grundgesetz bleibt die jetzige Bundesregierung solange im Amt, wie ein neuer Kanzler nicht gewählt ist. Der könnte übrigens noch immer Markus Söder heißen – ob mit oder ohne Neuwahlen. Der Regierungschef muss dem Deutschen Bundestag nicht zwingend angehören.
Man mag von Markus Söder halten, was man will. Eines hat er bestimmt nicht: ein schlechtes Gedächtnis! Zum Beispiel daran, wie ihn Friedrich Merz und die Merkel-Epigonen in der CDU, im Unions-Jargon „Wüstlinge“ genannt, um die Kanzlerkandidatur gebracht haben.
Merke: Rache ist eine Speise, die doppelt so gut mundet, wenn kalt genossen!
*Einar Koch, Jahrgang 1951, war von 1992 bis 2003 Leiter der Parlamentsredaktion der „Bild“-Zeitung in Bonn und Berlin, Politik-Chef des Blattes und zuletzt Politischer Chefkorrespondent.