Nachdem FDP-Chef Christian Lindner einen Bruch der Chaos-Ampel nach der Landtagswahl am Sonntag in Brandenburg nicht mehr ausgeschlossen hat, haben in Berlin die Spekulationen über vorzeitige Neuwahlen im Bund wieder an Fahrt aufgenommen. Polit-Insider Einar Koch* hält das für eine Scheindiskussion. Der Ex-„Bild“-Politikchef analysiert die bundespolitische Bedeutung der Brandenburg-Wahl und erklärt, warum Neuwahlen aus seiner Sicht eher unwahrscheinlich sein dürften.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ist weit weg beim sogenannten Zukunftsgipfel der Vereinten Nationen in New York, wenn am Sonntag Schlag 18 Uhr die ersten Prognosen zur Landtagswahl in Brandenburg über die Bildschirme rauschen. Bei ihm wird es dann 12.00 Uhr mittags sein – „High Noon“ sozusagen.
Scholz dürfte es ganz recht sein, die Wahlergebnisse aus sicherer Entfernung zu verfolgen. Denn der Kanzler kann bei der Landtagswahl am Sonntag in Brandenburg nur verlieren.
► Sollte Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) doch noch sein Ziel erreichen und die SPD vor der in den Umfragen führenden AfD stärkste politische Kraft werden, wird es heißen: Woidke habe das nur geschafft, weil er sich Wahlkampfauftritte des Kanzlers verbeten hatte und gegen die Migrationspolitik der SPD-geführten Chaos-Ampel wütete: „Ein Irrsinn, den kein Bürger mehr versteht!“
► Sollte Woidke scheitern und wie ankündigt von der politischen Bildfläche in Potsdam verschwinden („dann bin ich weg…“), wird man in der SPD Kanzler Scholz und seine heillos zerstrittene Regierung für das dritte Desaster in Folge seit dem 1. September verantwortlich machen.
Was bedeutet die Brandenburg-Wahl für die Bundespolitik?
Spätestens seit dem SPD-Debakel bei der Europawahl Anfang Juni sowie dann bei den Landtagswahlen in Sachsen und in Thüringen gilt der Kanzler als angezählt. Seine persönlichen Umfragewerte sind im Tiefkeller. Die SPD pendelt den Umfragen zufolge bundesweit zwischen mageren 14 bis 16 Prozent, weit hinter den Unionsparteien. Dass es in der SPD, von einzelnen Aufmuckern abgesehen, noch nicht zur offenen Kanzler-Revolte gekommen ist, dürfte allein dem Wahlkampf in Brandenburg geschuldet gewesen sein.
Bundespolitisch steht vor allem die Frage im Vordergrund, wie schnell die Brandenburg-Wahl die Agonie der zerrütteten Chaos-Ampel beschleunigen wird. Wenige Tage vor der Wahl orakelte FDP-Chef Christian Lindner, dem partei-intern das Wasser bis Oberkante Unterlippe steht, mehr oder weniger deutlich über einen möglichen Bruch der Ampel, sprach sybillinisch von einem „Herbst der Entscheidungen“, was Erinnerungen an das Ende der sozial-liberalen Koalition 1982 unter Helmut Schmidt (SPD) weckte.
Fakt ist: Die Zustimmung der Deutschen zur Ampel schwankt mittlerweile zwischen null Prozent (ZDF-„Politbarometer“) und drei Prozent (Allensbach). In der vom parlamentarischen Exitus bedrohten und in Ostdeutschland bereits auf Splitterparteien-Niveau angekommenen FDP hilft man sich mit Sarkasmus: „Wenn das so weitergeht, können wir bald unsere Wähler einzeln per Handschlag begrüßen.“
► Im politischen Berlin wurden hinter den Kulissen zuletzt zwei Szenarien durchgespielt:
1. Szenario: Die FDP lässt die Ampel im Spätherbst platzen und ihre vier Minister verlassen das Kabinett – in der Hoffnung, dass der Ausstieg von den Wählern spätestens bei der Bundestagswahl in einem Jahr honoriert werde. Ein eher unwahrscheinliches Szenario!
2. Szenario: Der Kanzler schmeißt die Liberalen aus dem Kabinett und regiert mit einem rot-„grünen“ Minderheitskabinett weiter. Ebenfalls unwahrscheinlich!
► Die wirklich spannende Frage wird in den nächsten Wochen sein: Kommt es zu NEUWAHLEN oder nicht? Es ist nach meinem Dafürhalten eine reine Scheindiskussion – denn:
Der Weg zu Neuwahlen könnte nur über die Vertrauensfrage des Kanzlers im Deutschen Bundestag führen. Alle Ampel-Parteien müssen aber auf Basis der jetzigen Umfragen Neuwahlen scheuen wie der Teufel das Weihwasser.
Scholz selbst geht denn auch nach eigenen Worten davon aus, dass die Ampel bis zur Bundestagswahl im nächsten Jahr halten wird. „Ob die Regierung bis zum Ende der Legislaturperiode hält? Ich glaube schon – ja“, sagte er am Freitagabend (20. September) bei einem Bürgergespräch im brandenburgischen Niedergörsdorf (Kreis Teltow-Fläming).
Es ist die auch aus meiner Sicht wahrscheinlichere Option. Denn: Lindner & Co. sitzen in einer doppelten Zwickmühle:
► Zerbricht die Koalition, OHNE dass es zu Neuwahlen kommt, hätten die vier FDP-Minister keinen Pensionsanspruch. Nur bei Neuwahlen würde ihre bisherige Amtszeit laut den Bestimmungen des Ministergesetzes auf eine volle Legislaturperiode als Mindestvoraussetzung für einen Pensionsanspruch aufgerundet werden.
► Käme es doch zu Neuwahlen (wie gesagt nur über die Vertrauensfrage des Kanzlers möglich), wäre auf Basis der jetzigen Umfragen ein Wiedereinzug der FDP in den Deutschen Bundestag mehr als fraglich.
Man kann es drehen und wenden, wie man will: Die FDP sitzt in der Ampel-Falle! Sie dürfte deshalb kaum ein Interesse daran haben, den Bruch von sich aus herbeizuführen. Mit anderen Worten: Das Gewürge in Berlin geht weiter!
*Einar Koch, Jahrgang 1951, war von 1992 bis 2003 Leiter der Parlamentsredaktion der „Bild“-Zeitung in Bonn und Berlin, Politik-Chef des Blattes und zuletzt Politischer Chefkorrespondent.
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