Ein Geheimdienstmann redet Klartext: Der „Verfassungsschutz“ ist nur auf dem Papier parteipolitisch neutral; in der Realität schützt er die Mächtigen, vor allem „die SPD, die ‚Grünen‘ und die Linke“. Und weil er sich an die echten Bedrohungen nicht herantraut, diffamiert und verfolgt er mit um so größerem Eifer Regierungskritiker und Bürger, die den Herrschenden unbequem geworden sind.
„Gregor S.“, ein Mitarbeiter des sächsischen Verfassungsschutzes, schlägt zum 75. Geburtstag des Grundgesetzes gegenüber der „Schwäbischen Zeitung“ Alarm und bestätigt den Verdacht, der sich über die angeblichen „Schützer“ unserer Verfassung aufdrängt: Weil der Dienst es „mit ernstzunehmenden Gegnern wie wirklich gewaltbereiten Links- oder Rechtsterroristen oder radikalen und teils kriegserfahrenen Islamisten nicht aufnehmen kann, kümmert er sich zunehmend um Leute, die eigentlich gar kein Fall für den Verfassungsschutz sind. Und in der Vergangenheit auch nicht waren.“
„Pervertierung der Sprache“
Als Beleg dafür führt der 36jährige Geheimdienstmann die neugeschaffene Kategorie „verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ an. Eine „Umdeutung und Pervertierung der Sprache“ macht bereits über neu erfundene Schlagwörter Menschen zum Verdachtsfall: „Was gestern legale Kritik war, kann heute ein Grund sein, ins Visier des Verfassungsschutzes zu geraten.“
Treffen kann es im Prinzip jeden: „Plötzlich wird versucht, auch Menschen zu diskreditieren, zu dämonisieren und auszugrenzen, bei denen das vor wenigen Jahren noch völlig undenkbar gewesen wäre. Bei denen man gesagt hat, das ist doch alles im völlig normalen und verfassungsmäßigen Rahmen.“
Wer ins Visier des Geheimdienstes gerät, wird regelrecht durch die Mühle gedreht. „Wir machen alles, was das Handwerk hergibt, und fahren alles auf, was wir bei echten Extremisten auch auffahren“, erzählt der Insider: „Wir durchleuchten das Umfeld, den Arbeitgeber, die Geliebte, die Kumpels, die zum Grillen kommen, also eigentlich alles, was wir finden können. Wir versuchen, ein Gesamtbild zu bekommen. Das machen wir nach handwerklichen Regeln, und diese Regeln sind für alle gleich, egal ob Linksextremist oder Staatsdelegitimierer.“
Es reicht, wenn einer die „Grünen“ nicht mag
Das kann dann eben „auch jemanden treffen, der lediglich die ‚Grünen‘ nicht mag und ein nach offizieller Lesart staatsdelegitmierendes Plakat aufhängt, ein entsprechendes Schild bei einer Demo hochhält oder einen entsprechenden Post in sozialen Medien absetzt. Das reicht schon aus.“
Geheimdienstmann Gregor S. sieht „die ganz große Gefahr, dass der Dienst instrumentalisiert wird, etwa für politische Zwecke“. Denn die Hand, die einen füttert, wird nicht gebissen. „In der Realität ist es aber nun mal so, dass diese Behörde eine Behörde im Geschäftsbereich des Innenministeriums ist“, sagt der Insider.
Und wo der Dienstherr das nicht so gerne sieht, wird auch nicht hingeschaut, weiß er aus eigener Behörden-Erfahrung: „Es gibt Informationen, die sollen aufgenommen werden, die werden dann auch weiterverarbeitet und daraus erfolgen dann auch weitere Maßnahmen. Und es gibt Informationen, die sind nicht erwünscht, die sind unbequem. Und die werden dann ignoriert.“
Bei den Etablierten „traut sich der VS schon gar nicht mehr ran“
Damit meint er „Informationen mit Bezug auf extremistische Tendenzen oder Entwicklungen, auf radikale Strömungen innerhalb etablierter Parteien. Die möchte man nicht sehen und nicht hören.“ Zum Beispiel „gewisse gewaltbereite Strömungen etwa bei der Linken“ oder bei anderen Parteien „strukturelle, organisatorische und ideologische Überschneidungen“ mit Szenen, die man sonst durchaus ins Visier nehmen würde. „Aber da traut sich der Verfassungsschutz schon gar nicht mehr ran.“
Und auch bei echten und gefährlichen Extremisten und Terroristen hält sich der VS lieber zurück. Denn für die Erfüllung der eigentlichen Aufgaben des Inlandsgeheimdienstes fehlt es an elementaren Voraussetzungen, von wirklich anonymen Telefonen und Fahrzeugen über Fitness und Kampfsportausbildung – nicht jeder hat einen militärischen Hintergrund wie Gregor S. –bis zu unerlässlichen Schutzmaßnahmen und professioneller Organisation. Es sei „kein Geheimnis, dass das Ausland über unseren Dienst lacht“.
„Das Ausland lacht über unseren Dienst“
Wer im operativen Einsatz steht wie lange Jahre hindurch Gregor S., leidet unter kafkaesker Bürokratie und weltfremden endlosen Genehmigungsprozessen. Weil er intern Kritik an Missständen übte und Verbesserungsvorschläge machte, wurde Profi Gregor S. mit eskalierenden Schikanen und dienstlichen Maßregelungen überzogen.
Jetzt packt er aus, auch weil er aus eigener Erfahrung weiß, „wie brutal der Dienst sein kann“. So wie seine Anwältin, die schon von der Stasi als Friedensaktivistin verhaftet worden war, nach der Wende zeitweise für den VS arbeitete und desillusioniert wieder ging. Auch sie wisse, „ wozu der Verfassungsschutz fähig ist, wenn man sich mit ihm anlegt“, erklärt sagt die Anwältin: „Die Menschen müssen erfahren, was da Tag für Tag passiert beim Verfassungsschutz.“
„Kakistokratie“
Gregor S. zieht ein ernüchterndes Fazit: Der Verfassungsschutz sei „eine Kakistokratie, also eine Herrschaft der Schlechtesten“. Grundwerte unserer Verfassung würden pervertiert, man müsse „sich ernsthaft fragen, ob die Verantwortlichen innerhalb des Systems dafür zur Rechenschaft gezogen werden sollten“. Denn die „derzeitige Melange“ beim Inlandsgeheimdienst „höhlt den Rechtsstaat sehr viel stärker aus, als es irgendein Skinhead oder irgendein Autonomer jemals schaffen könnten“.