„Russophobie“ – ein deutscher Irrweg
Die Stimmung war trotz des heißen Augustwetters frostig, als der neu ernannte Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Russland, Alexander Graf Lambsdorff, in Moskau die Kopie seines Beglaubigungsschreibens vorlegte. Als stellvertretender Fraktionschef der FDP im Deutschen Bundestag und Fraktionskollege der Scharfmacherin Marie-Agnes Strack-Zimmermann hatte Lambsdorff in seiner Abgeordnetenzeit kaum eine Gelegenheit ausgelassen, sich mit antirussischen Tönen hervorzutun.
Dass die russische Seite den ersten Auftritt des deutschen Botschafters nutzte, um ihre Besorgnis über den „konfrontativen und unfreundlichen Charakter der Handlungen der deutschen Seite in verschiedenen Bereichen der bilateralen Beziehungen“ auszudrücken, musste daher niemanden überraschen.
„Antirussische Politik Deutschlands“
Die „antirussische Politik Deutschlands“ richte sich auf eine „vollständige Zerstörung der sich seit Jahrzehnten gebildeten gegenseitig gewinnbringenden Zusammenarbeit, Bruch der vielseitigen handelswirtschaftlichen Verbindungen, der direkten Kontakte zwischen den Bürgern“, kritisierte die russische Seite in einer Mitteilung des Außenministeriums und appellierte an Berlin, die „auf der staatlichen Ebene aufgedrängte unvernünftige Russophobie“ aufzugeben.
Harte Worte, die in der Sache gleichwohl bittere Realitäten beschreiben. Anlass zur Verstimmung bietet nicht zuletzt die von deutschen Behörden kleinlich und schikanös praktizierte Umsetzung einer fragwürdigen EU-Richtlinie aus einem der zahllosen „Sanktionspakete“, die verlangt, von in die EU einreisenden Staatsbürgern nicht nur private Kraftfahrzeuge, sondern auch Computer, Mobiltelefone, Kosmetik, Reisegepäck und sogar Kleidung zu konfiszieren, weil diese nicht „in die EU eingeführt“ werden dürften.
Zwar ist bislang noch kein Fall bekannt geworden, dass diese Vorgabe in ihrer ganzen Absurdität exekutiert und von einreisenden russischen Touristen verlangt worden wäre, auch ihre Kleidung vor einer Grenzüberquerung zu Fuß abzulegen. Gleichwohl häufen sich gerade aus Deutschland die Beschwerden über willkürliche Beschlagnahmen von Privatfahrzeugen mit russischen Kennzeichen, ungeachtet der deutlichen Proteste seitens russischer Diplomaten. Auch russische Bürger mit legalem Aufenthaltsrecht in der EU sind von der schikanösen Regelung betroffen.
Willkürliche Konfiskationen
Strikte Anwendung der grotesken EU-Richtlinie wird auch aus den baltischen Republiken Estland, Lettland und Litauen angekündigt, die sich ebenso wie das an den Anglo-Amerikanern orientierte Polen in besonderem Maße als „Frontstaat“ gegenüber Russland empfinden. Dagegen erklärt das bis vor kurzem noch neutrale Finnland, das von jeher sein Verhältnis zum großen Nachbarn Russland pragmatischer gehandhabt hat, die EU-Richtlinie bislang noch nicht anzuwenden.
Wie so oft gilt: Die EU kann viel verordnen, umsetzen müssen die Vorgaben die nationalen Regierungen, und da tut sich gerade die deutsche Regierung gern mit fanatischem Übereifer hervor, selbst wenn dieser dem eigenen Land und seinen Bürgern schwer schadet.
Das hat sich insbesondere bei der sturen Anwendung der Wirtschafts-, Handels- und Energiesanktionen erwiesen. Jahrzehntelang hatte der intensive deutsch-russische Austausch – Rohstoffe gegen Technologie – zum beiderseitigen Vorteil gestaltet. Selbst auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges war diese Beziehung, die wesentlich zum Wachsen des deutschen Wohlstands beigetragen hatte, nicht grundsätzlich in Frage gestellt.
Erst unter dem Eindruck des Ukraine-Kriegs konnte eine von „grünen“ Moralabsolutisten angetriebene deutsche Regierung es wagen, diese in Jahrzehnten friedlicher Verständigung gewachsenen Wirtschaftsbeziehungen brutal und gründlicher als jedes andere europäische Land zu kappen.
Deutschland opfert seinen Wohlstand, um dem US-Hegemon zu gefallen
Um dem amerikanischen Hegemon zu gefallen, opferte Deutschland nicht nur substanzielle Teile seines Wohlstands und wertvolle Infrastruktur und Investitionen, es demütigte sich darüber hinaus selbst, indem es sich jedes Drängen auf Aufklärung des staatsterroristischen Anschlags auf die Ostsee-Erdgasleitungen „NordStream“ 1 und 2 verbot, obwohl die Spuren mehr als deutlich nicht nur auf die USA und Großbritannien, sondern auch in die von diesen beiden Mächten marionettenhaft abhängige Ukraine weisen.
Das Ergebnis ist bekannt. Während die russische Volkswirtschaft den Sanktionen widersteht und ihr Wachstum trotz aller Einschränkungen in der Spitzengruppe der entwickelten Staaten liegt, ist Deutschland das Schlusslicht der G20-Staaten und weist als einziges Land dieser Gruppe einen Rückgang der Wirtschaftsleistung auf.
Kulturelle Selbstschädigung
Vorsätzliche Selbstschädigung betreibt die offizielle deutsche Politik auch auf geistiger und kultureller Ebene. Mit Beginn der russischen Militäroperation in der Ukraine hagelte es Ausladungen und Auftrittsverbote für russische Künstler, Sänger und Musiker. Besonders linientreue Intendanten und Kulturveranstalter begannen in tschekistischem Übereifer ihre Spielpläne und Programme zu säubern und spielten mit dem Gedanken, selbst Werke von Tschaikowskij und anderen Giganten auf den Index zu setzen, um nicht „ukrainische Gefühle zu verletzen“.
Dass russischen Künstlern unter Androhung der sozialen und beruflichen Vernichtung erniedrigende Distanzierung vom eigenen Heimatland und dessen Regierung abverlangt und in stalinistischer Manier vorformulierte Erklärungen eingefordert wurden, stellt einen Tiefpunkt deutscher Kulturgeschichte dar. Nicht wenige fanden sich trotz erzwungener Bekenntnisse zwischen allen Stühlen wieder.
Kleingeistige Politfunktionäre
Politfunktionäre wie der Berliner Kultursenator Joe Chialo, der öffentlich erklärte, Vorstellungen mit der Ausnahmesopranistin Anna Netrebko an der Berliner Staatsoper zu „boykottieren“ und stattdessen mit dem ukrainischen Botschafter eine Propagandaausstellung „Russian War Crimes“ in der nahegelegenen Humboldt-Universität zu besuchen, ist bezeichnend für die in der deutschen politischen Klasse herrschende banausenhafte und kleingeistige Enge.
Mit „Russophobie“ ist diese politisch erzeugte und medial vervielfältigte antirussische Stimmungsmache und quasi-totalitäre Hysterie nur unzulänglich beschrieben. Festzuhalten ist dennoch, dass es sich hierbei vor allem um eine Angelegenheit der politisch-medialen Eliten und der Diskursherren der veröffentlichten Meinungshoheit handelt.
„Russophobie“ ist ein Elitenprojekt
Es ist durchaus kein Zufall, dass russlandfeindliches Scharfmachertum vor allem im Umfeld der „Grünen“ und der Unionsparteien CDU und CSU anzutreffen ist. Letztere lassen traditionell lieber in Washington denken, als sich selbst um die Formulierung und Durchsetzung nationaler, deutscher Interessen zu bemühen.
Das „grüne“ Führungspersonal wiederum besteht zu einem guten Teil aus unterbefähigten oder persönlich erpressbaren Minderleistern, die nicht selten aufgrund der Protektion durch US-amerikanische Kaderschmieden in hohe und höchste Positionen gelangt sind. Da nationaler Selbsthass in diesen Kreisen besonders weit verbreitet ist, macht es ihnen nichts aus, sich durch besonders eifrige Unterstützung der Ideologie des „Wertewestens“ zu revanchieren.
Unter diesem Meinungsdruck sieht sich auch die SPD genötigt, ihre Tradition der auf Verständigung ausgerichteten Ostpolitik über Bord zu werfen und sich von ihren eigenen einstigen Erfolgen zu distanzieren. Der inquisitorische Eifer, mit dem die deutschen Sozialdemokraten ihren letzten bedeutenden Kanzler Gerhard Schröder zum Paria stempeln und mit Schimpf und Häme überschütten, steht symptomatisch für die Selbstverzwergung einer ehemaligen Volkspartei.
Antirussische Stimmungsmache als parteipolitische Waffe
Im politischen und medialen Establishment des „grün“-linken Deutschland erfüllt das Schüren einer hysterischen antirussischen Stimmung noch einen weiteren Zweck. Wenn jede Erwägung einer Definition eigenständiger Interessen und jede Forderung nach einer pragmatischen Verhandlungslösung für einen Krieg, der Deutschland und seinen Interessen schadet, unter Generalverdacht steht, ist das zugleich ein wirksames Mittel zur Ausgrenzung der Oppositionspartei AfD.
Die AfD nimmt in der deutschen politischen Landschaft eine Sonderposition ein, weil sie sich dafür einsetzt, die deutsch-russischen Wirtschafts- und Rohstoffbeziehungen nicht völlig zu kappen, sondrn vielmehr wiederherzustellen, und den Ukraine-Krieg durch eine Verhandlungslösung zu beenden, die den legitimen Interessen aller Beteiligten gerecht wird.
Damit trifft die AfD einen sensiblen Nerv in der deutschen Bevölkerung. Dass sie Missstände anspricht, die sonst keiner beim Namen nennt, und als einzige relevante politische Kraft nicht im Einheitschor der Russophobie mitsingt, ist zweifellos ein wesentlicher Grund dafür, dass die Zustimmungsraten der AfD unter den wahlberechtigten deutschen Bürgern stetig ansteigen.
Zunehmende Ernüchterung
Während sich in der Anfangsphase der russischen Militäroperation in der Ukraine auch viele Normalbürger noch zu feindseligen Ausfällen gegenüber aus Russland stammenden Mitbürgern hinreißen ließen und mancher Bäckermeister im Überschwang des Untertanengehorsams gar seinen „russischen Zupfkuchen“ umbenennen zu müssen meinte, ist inzwischen weithin Ernüchterung eingekehrt.
Die Verteufelung Russlands und seines Präsidenten als Verkörperung allen Übels und die damit einhergehende Diskriminierung und Herabsetzung russischer Staatsbürger und russischsprachiger Mitbürger ist auch in Deutschland in erster Linie ein Projekt der politischen und medialen Eliten und der von ihnen dominierten veröffentlichten Meinung. Je länger der Ukraine-Krieg andauert, desto deutlicher tritt dies zutage.
Zweifel am offiziellen Narrativ
Während Politik und Medien die US-amerikanische Lesart des Konflikts und die Kiewer Kriegspropaganda wie unhinterfragbare Wahrheiten verbreiten, sieht eine wachsende Zahl von Deutschen die Lage nüchterner und differenzierter. Es spricht sich herum, dass die eigene Regierung immense Milliardenbeträge für Waffenlieferungen und die Stützung der korrupten ukrainischen Regierung verschleudert, die im eigenen Land fehlen.
Weniger als die Hälfte der Deutschen befürwortet eine EU- oder Nato-Mitgliedschaft der Ukraine; in praktisch allen anderen relevanten westlichen Ländern liegt die Zustimmung deutlich höher. Auch die Unterstützung für finanzielle Hilfen zum Wiederaufbau der Ukraine ist in Deutschland im Vergleich am niedrigsten; mehr als ein Drittel der Deutschen lehnt solche Hilfen rundweg ab. Angesichts einer überhandnehmenden Gesinnungsgesetzgebung, die darauf abzielt, Meinungsfreiheit einzuschränken und Zweifel an der offiziellen Lesart des Ukraine-Kriegs unter Strafe zu stellen, sind das bemerkenswerte Zahlen.
Reale Erfahrungen mit undankbar abkassierenden und großspurig auftretenden „Kriegsflüchtlingen“ und die arrogant und erpresserisch vorgetragenen maßlosen Forderungen des Kiewer Regimes tragen ihren Teil zur Desillusionierung bei. Vor allem aber ist eine steigende Zahl der Deutschen auf Dauer nicht bereit, sich eine vermeintliche Erzfeindschaft zu Russland und dem russischen Volk einreden zu lassen.
Geopolitik schlägt Ideologie
Die Gesetzmäßigkeiten der Geopolitik und die Traditionslinien kultureller Verbundenheit sind auf Dauer eben doch mächtiger und wirksamer als die Zwänge oktroyierter Ideologie. Seit mehr als zwei Jahrhunderten ist es eine Konstante im deutschen historischen und politischen Bewusstsein, dass ein gutes Verhältnis zwischen der großen eurasischen Landmacht im Osten und der europäischen Mittelmacht Preußen und Deutschland die Grundlage für das Prosperieren beider Nationen und für den Frieden in Europa ist.
Auch heute gilt das vom Ehrenvorsitzenden der AfD-Bundestagsfraktion Alexander Gauland zitierte Bismarck-Wort, Deutschland dürfe sich weder in Feindschaft noch in Abhängigkeit von Russland bringen lassen. Von der Konvention von Tauroggen, mit der im Dezember 1812 der preußische General Yorck und der russische General Diebitsch die preußisch-russische Waffenbrüderschaft gegen die französische Fremdherrschaft begründet hatten, reicht eine historische Linie über die Bismarcksche Bündnispolitik, den Vertrag von Rapallo zwischen Deutschland und der Sowjetunion 1922 bis zur deutschen Ostpolitik der siebziger Jahre und dem Abzug der russischen Besatzungstruppen aus dem 1990 wiedervereinigten Deutschland.
Russland an der Wiege der Wiedervereinigung
Längst nicht alle Deutschen haben vergessen, dass Russland durch diesen Schritt den Erfolg der deutschen Einheit erst möglich gemacht hat. Auch die Weltkriege des zwanzigsten Jahrhunderts und die mörderische Konfrontation, in welche die Diktatoren Hitler und Stalin Deutsche und Russen mit furchtbaren Verbrechen auf beiden Seiten und in beiden Ländern getrieben haben, konnten die wechselseitige Hochachtung für die Kultur und die Leistungen des jeweils anderen nicht auslöschen.
Die Zuversicht des russischen Botschafters in Deutschland Sergej Netschajew, dass auch „Verbote und Propaganda“ diese Wertschätzung auf Dauer nicht aushöhlen und „künstliche Hindernisse den Prozess der natürlichen gegenseitigen Bereicherung unserer Kulturen nicht stoppen“ können, ist vor diesem Hintergrund nicht unberechtigt.
„Kosmopolitischer Radikalismus“ und „selbstverschuldete Unmündigkeit“
Fjodor Dostojewskij nannte Deutschland „das protestierende Land“ und die Deutschen das „große, stolze und eigenartige Volk“, das sich „niemals mit der äußersten westlichen Welt hat vereinigen wollen“. Der große Dichter sorgte sich schon vor mehr als anderthalb Jahrhunderten, dass „der kosmopolitische Radikalismus auch in Deutschland schon Wurzel gefasst“ haben könnte.
Mehr Selbstbewusstsein und Besinnung auf das Eigene und Wesentliche tut in diesen Zeiten dringend not. Der dreihundertste Geburtstag des Königsberger Philosophen Immanuel Kant, dessen Grab am Dom der preußischen Krönungsstadt auch von der russischen Gebietsverwaltung in Ehren gehalten wird, wäre im kommenden Jahr ein guter Anlass, sein aufklärerisches Vermächtnis ernst zu nehmen: Den „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ zu finden.