Seit 2015 soll am deutschen Wesen vor allem Europa moralisch genesen. Bei diesem anmaßenden Unterfangen entsteht unsrem Land enormer Schaden: Außenpolitische Reputation, Ökonomie und der soziale Friede sind stark gefährdet.
Was immer es kostet, die deutsche Kanzlerin, die es ganz an die Spitze der Macht in der bundesdeutschen Politik geschafft hat, paukt ihre moralingetränkte Agenda in der Einwanderungspolitik durch. Aus dem fernen Brüssel fleißig von der EU-Kommissionspräsidentin sekundiert, hat sich Angela Merkel kürzlich dabei wieder einmal als wirklichkeitsfern und lernunfähig erwiesen.
Da helfen auch die Claqueure aus den eigenen Reihen nichts: Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes (DStGB), Gerd Landsberg, seines Zeichens auch begeisterter Bonner CDU-Lokalpolitiker, lobt etwa die jüngsten Vorschläge der EU-Kommission für eine Reform der europäischen Asyl- und Migrationspolitik als »guten und tragfähigen Kompromiss«. Landsberg sieht »die aktuelle Blockade für ein gemeinsames Vorgehen der Mitgliedstaaten in der Asyl- und Migrationspolitik« in Auflösung begriffen und spürt wohl eine »Stärkung des EU-weiten Grenzschutzes, mit der Einrichtung zentraler Asyl- und Rückführungszentren an den EU-Grenzen, eine effektivere Rückführungspolitik sowie die Reform des Dublin-Verfahrens mit einem System der Solidarität«.
Doch bei aller Begeisterung übersieht der Verbandsfunktionär entscheidende Schwachstellen bei den EU-Vorschlägen. Allein ausreichendes Personal plus Equipment in den geplanten Aufnahmezentren und die Bearbeitung der beabsichtigen Screening-Verfahren für Migranten stellen extreme Hürden bei der Realisation dar. Aber man spekuliert auf eine Schrumpfung des Problems: Kamen 2015 1,8 Millionen Menschen irregulär in die EU, waren es 2019 angeblich »nur noch 140.000 irreguläre Zuwanderer […], von denen gerade einmal ein Drittel Anspruch auf Asyl hätte.« So jedenfalls die Kommissarin für Inneres der EU, Ylva Johansson. Wie die Rückführung der restlichen zwei Drittel funktionieren soll, kann man in Deutschland sehen: Im Zeitraum Januar bis August 2020 wurden 64.003 Erstanträge vom Bundesamt entgegengenommen, die Ablehnungsquote für Asylanträge lag bei etwa 59 Prozent und die Gesamtschutzquote lag im gleichen Zeitraum bei rund 41 Prozent. Im ersten Halbjahr 2020 gab es 4.616 Abschiebungen – darunter 1.485 Überstellungen im Rahmen der Dublin-III-Verordnung. Und der ›Spiegel‹ meldete vor circa einem Monat, dass das Gesetzespaket zu Asyl und Integration 2018 präsentiert von Bundesinnenminister Horst Seehofer, mit dessen Hilfe Abschiebungen vereinfacht werden sollten, »im ersten halben Jahr nicht zu mehr Abschiebungen geführt« hat.
Auch die geforderte Flüchtlingsverteilung in der EU, die von Merkels Regierung seit 2015 als Schlüssel für die Migrationspolitik dargestellt wird, funktioniert nicht und wird deshalb im neuen Migrationskonzept der Kommission von der Wahlmöglichkeit der entsprechenden Regierungen zwischen Migranten- oder Kostenübernahme abgelöst. Denn nicht nur der Städte- und Gemeindebundgeschäftsführer fordert, »dass die Staaten, die mehr Flüchtlinge aufnehmen, dafür mehr EU-Finanzmittel für die Unterbringung und Integration erhalten müssen«. Eine Verteilung der Flüchtlinge bleibt also wie bisher nur auf freiwilliger Basis möglich. Aus humanitären Gründen würden die geplanten Maßnahmen trotzdem keinen Aufschub dulden, drückt Landsberg hupend aufs Entscheidungsgaspedal.
Doch »Mutti« hat ohnehin schon ein anderes Tempo in der Causa an den Tag gelegt. Die »Weltkanzlerin« beschloss unter dem Eindruck des von den »Flüchtlingen« anscheinend selbst angezündeten Flüchtlingslagers Moria auf Lesbos mit dem CSU-Politiker Seehofer und der SPD nahezu spontan, dass Deutschland von den griechischen Inseln etwa 2.750 Personen zu übernehmen habe. Während die Wirtschaft Deutschlands aufgrund der völlig überzogenen COVID-19-Maßnahmen anfängt, aus den letzten Löchern zu pfeifen, sorgt die Regierung unverdrossen für weitere Belastungen des Sozialstaats und der ihn finanzierenden Gesellschaft. Dabei hatten die gewählten Volksvertreter seinerzeit nach Artikel 56 des Grundgesetzes geschworen, ihre Kraft dem Wohle des deutschen Volkes zu widmen, seinen Nutzen zu mehren, und Schaden von ihm zu wenden. Das scheint – auch bei den Deutschen in Brüssel – schmelzender Schnee von gestern.