Im transatlantischen Verteidigungs- und Wertebündnis wirtschaftliche Abhängigkeiten zwanghaft durchsetzen zu wollen, kann Vertrauen und Reputation unter den Partnern gefährden. Das zeigen die jüngsten Vorgänge um das Projekt »Nord Stream 2«.
Mit einem auf den 5. August datierten Brief wandten sich die drei amerikanischen Senatoren Ted Cruz, Tom Cotton und Ron Johnson unlängst an die Geschäftsführung der Fährhafen Sassnitz GmbH auf der deutschen Ostseeinsel Rügen. In dem Schreiben konfrontierten die Amerikaner die Hafenbetreibergesellschaft mit dem Vorwurf, »wissentlich bedeutende Güter, Dienstleistungen und Unterstützung für das Nord-Stream-2-Projekt bereitzustellen«. Hintergrund dieser Aktion, die in allen politischen Lagern der Bundesrepublik Empörung hervorrief, ist die Tatsache, dass das Nord-Stream-2-Projekt den Amerikanern seit geraumer Zeit ein Dorn im Auge ist. Im Hafen Sassnitz-Mukran haben die drei eifrigen Senatoren die für die Fertigstellung des Projekts erforderliche Logistik in Form von gelagerten Pipeline-Bauteilen und Verlegeschiffen ausgemacht. Schließlich ist nur noch ein circa 160 Kilometer langes Teilstück zu verlegen, von dem 120 Kilometer in dänischen und mehr als 30 Kilometer in deutschen Gewässern verlaufen werden. Doch die USA-seitig angedrohten Sanktionen sorgen dafür, dass die Arbeiten seit sieben Monaten ruhen. Nord Stream 2 soll – so die Planer – die bereits vorhandene Nord-Stream-1-Pipeline ergänzen. Damit würde Nord Stream 2 zur wichtigsten Energiebrücke zwischen Ost- und Westeuropa, denn das Rohrsystem Nord Stream 1 hat seine Kapazitätsgrenzen mittlerweile erreicht. Parallel zur unterseeischen Pipeline-Trasse von Nord Stream 1 soll Nord Stream 2 den deutschen, aber auch europäischen Mehrbedarf an Gas decken. Möglicherweise empfinden die Amerikaner, die eine ausnutzbare Abhängigkeit Europas, insbesondere Deutschlands, von den russischen Gaslieferungen als Szenario an die Wand malen, auch die Eigentümer- und Betreiberverhältnisse der Pipeline-Betreibergesellschaften als Provokation. Sind bei Nord Stream 1 Gazprom, Wintershall, E.ON und ENGIE noch in trauter Gemeinsamkeit unter das Dach der Nord Stream AG geschlüpft, so wurde die Projektgesellschaft Nord Stream 2 AG mit Sitz in Zug (Schweiz) gegründet, »um die Pipeline durch die Ostsee zu planen, zu bauen und später zu betreiben«, und zur Gänze in die Hände der PJSC Gazprom gelegt. »Die Nord Stream 2 AG hat mit ENGIE, OMV, Shell, Uniper und Wintershall Dea [lediglich] Finanzierungsvereinbarungen für das Projekt unterzeichnet.«
Das wiederum ärgert die Amerikaner ganz gewaltig, denn sie wollen, dass die Deutschen statt der russischen Gaslieferungen das US-amerikanische Fracking-Gas beziehen. Doch die Politiker der Bundesrepublik wehren sich. Unverschämt, hegemonial, unter Bündnispartnern unmöglich – so wird das Vorgehen der Amis, die auch auf die EU-Gasrichtlinien Einfluss zu nehmen suchen, bezeichnet. Doch letztlich sind es handfeste ökonomische Gründe, die die Europäer dazu bewogen haben, an Nord Stream 2 bis dato festzuhalten. Zum Ersten ist das LNGas [liquefied natural gas] aus den USA teurer, denn es muss in Tankern und in heruntergekühlter, verflüssigter Form nach Europa gebracht werden. Zum Zweiten ist das Fracking als Gasgewinnungsverfahren ökologisch höchst fragwürdig und zum Dritten könnten die Amerikaner den russischen Anteil von 38 % an den EU-Gasimporten aktuell gar nicht leisten. Und das ist fatal, »denn 23,4 Prozent der in Deutschland verbrauchten Energie wird durch Gasverbrennung erzeugt«. Wegen der drohenden Energieversorgungslücke, die durch die missratene Energiewende der Kanzlerin mit dem Atom- und geplanten Kohleausstieg entstand, »braucht Deutschland einen stabilen und schwankungsfreien Energieersatz. Sonne und Wind können diesen nicht bieten, Russland rettet daher die deutsche Energiewende«.
Das scheint den Amerikanern eine Missachtung des Nato-Bündnisses in indirekter Form zu sein, denn die Russen machen mit den Gasexporten Richtung Westeuropa gutes Geld, während sich die Bundesrepublik beispielsweise ihren finanziellen Verpflichtungen im Bündnis entzieht. »Deutschland gibt also in den Augen der Amerikaner nicht nur zu wenig für die Nato aus, sondern finanziert auch noch den Erzfeind Russland.« Und Russland ist nicht nur militärisch, sondern auch als Erdgasproduzent ein strategischer Rivale der USA. Man kann es dabei lustig finden, dass sich der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder als Gazprom-Lobbyist und der Öllobyist Ted Cruz, der als Senator von Texas den Kampf gegen Nord Stream 2 im US-Senat führt, gegenüberstehen. Gabor Steingart schreibt: »Im Jahr 2015 erhielt Cruz 25 Millionen US-Dollar an Spenden von Unternehmen der Fossil-Energiebranche, die ca. 57 Prozent seines Wahlkampfbudgets ausmachten.« Wes Brot ich ess‘, des Lied ich sing.
Angesichts der harschen Reaktionen von jenseits des großen Teiches ist zu vermuten, dass das Spiel um den zweiten Gasversorgungsstrang nach Europa noch nicht beendet ist. Der Energiekonzern Uniper SE, der mit 950 Millionen Euro an der Finanzierung der Gasleitung beteiligt ist, sieht Deutschland als erheblich vom US-Markt abhängige Exportnation in der Bredouille. Diesem Zustand können die Bundesrepublik und bei dem Projekt Assoziierte nur entkommen, wenn sie die wechselseitigen Abhängigkeiten betonen und verständlich machen sowie nachhaltig auf die Souveränität der Staaten bei volkswirtschaftlichen Weichenstellungen pochen. Hierzu bedarf es allerdings einer deutlichen kommunikativen und atmosphärischen Erwärmung der deutsch-amerikanischen Beziehungen. Ob die abgehalfterte Kanzlerin und der außenministerielle Laiendarsteller und Gesinnungskontroll-Freak Maas dafür das richtige Personal sind, darf von allen Seiten bezweifelt werden. Erst eine respektvolle Politik, die sich auch an ihren Verpflichtungen im Bündnis orientiert und Mittel für die deutsche militärische Verteidigung und die zugedachte Rolle Deutschlands im Bündnis frei macht, anstatt sie in ökoreligiösen und sozialistischen Planwirtschaftsspielen zu verpulvern oder gar für eine katastrophale Migrationspolitik rauszuschmeißen, erst eine verantwortungsvolle Politik wird die transatlantischen Beziehungen wieder kitten, auf konstruktiven Boden führen und eine angemessene Orientierung nach Osteuropa ermöglichen.