Für die AfD geht es in dieser Woche um viel: Mit einer Klage vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster wehrt sich die Partei in zweiter Instanz gegen die Einstufung als rechtsextremistischer Verdachtsfall durch das Bundesamt für Verfassungsschutz.
Für die spektakuläre Verhandlung (12./13. März) sind zwei Tage angesetzt. Rund 100 Journalisten haben sich als Prozessbeobachter angemeldet. In der Sache geht es um die Frage, ob der Verfassungsschutz die AfD mit geheimdienstlichen Mitteln beobachten darf. Dazu zählen das Abhören/Abfangen von Kommunikation, der Einsatz von Spitzeln (V-Leute) und verdeckten Mitarbeitern. Die Einstufung als Verdachtsfall ermöglicht es dem Verfassungsschutz auch, Informationen an weitere Behörden weiterzugeben.
Drei Verfahren sind in Münster anhängig. Erstens die Einstufung der Gesamtpartei AfD als Verdachtsfall nach dem Bundesverfassungsschutzgesetz (Aktenzeichen 5 A 1218/22), die Einstufung des sogenannten „Flügels“ als Verdachtsfall und als „gesichert extremistische Bestrebung“ (5 A 1216/22) sowie die Einstufung der Jugendorganisation Junge Alternative (JA) als Verdachtsfall (5 A 1217/22). Verhandelt werden die Berufungen der AfD und der Jungen Alternative. Festgestellt werden soll, ob die Partei tatsächlich Bestrebungen verfolgt, die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik zu untergraben.
AfD weist alle Diffamierungen zurück
Die AfD betont, dass sie keine verfassungsfeindlichen Ziele verfolge. Sie argumentiert, dass sie im Gegenteil für Inhalte stehe, die jahrzehntelang zum Programm von CDU und CSU gehörten. Die AfD sieht sich als Opfer eines übergriffigen Staatsapparats, der die freie Meinungsäußerung zensieren will, um eine missliebige Oppositionspartei auszuschalten.
Man müsse sie nicht mögen, führt die Partei über ihre Anwälte weiter aus, und ihre Inhalte auch nicht unterstützen, – aber dass „in einem demokratischen Rechtsstaat der Staat selbst eine ihm unliebsame Partei einer Art Dauerüberwachung“ unterziehe, dies öffentlich bekanntgebe und dadurch „mit amtlichen Mitteln“ politische Konkurrenten bekämpfe, sei eines demokratischen Rechtsstaates unwürdig.
Die Anwälte der AfD greifen in ihrem Schriftsatz das Kölner Verwaltungsgericht, das die Einstufung als Verdachtsfall in erster Instanz bejaht hatte, scharf an. Sie schreiben, die Ausführungen des Verwaltungsgerichts muteten politisch an, „einem Zeitgeist nachjagend“; kein einziger Schriftsatz der Klägerin sei gewürdigt worden, das Verwaltungsgericht sei lediglich „blind und voreingenommen“ den Darlegungen des Verfassungsschutzes gefolgt. Die Urteilsbegründungen bezüglich der AfD und JA seien „geradezu laienhaft zusammengeschustert“.
Worauf stützt sich die Einstufung als „Verdachtsfall“?
Inhaltlich geht es vor allem um den in Artikel 116 der Verfassung festgeschriebenen Begriff der „Volkszugehörigkeit“. Jeder mit deutschem Pass ist dem Grundgesetz nach Deutscher. Diesen Volksbegriff sehe die AfD angeblich kritisch, argumentiert die Gegenseite. In der Klageerwiderung findet sich als Anlage eine Zitatensammlung mit Aussagen verschiedener AfD-Politiker. Sie sollen die Behauptung des Verfassungsschutzes stützen, die AfD strebe eine „Umvolkung“ und einen „Bevölkerungsaustausch“ an. Ein Satz aus dem AfD-Grundsatzprogramm, wonach die höhere Geburtenrate bei Migranten „den ethnisch-kulturellen Wandel der Bevölkerungsstruktur verstärkt“, wird als ein Beleg für die angebliche Verachtung der Menschenwürde durch die Partei angeführt.
Die AfD weist diese Darstellung als diffamierend zurück und betont: „Als Rechtsstaatspartei bekennt sich die AfD vorbehaltlos zum deutschen Staatsvolk als der Summe aller Personen, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen.“
Hat der Verfassungsschutz unerlaubt V-Leute eingeschleust?
In dem Berufungsverfahren muss das OVG Münster brisante Fragen klären – vor allem: Wie stark ist die AfD mit sogenannten V-Leuten durchsetzt? Gemeint sind Parteimitglieder, die als Spitzel mit dem Verfassungsschutz zusammenarbeiten und von diesem unter der Hand bezahlt werden. Dass auch in der AfD sogenannte V-Leute aktiv sind, ist kein Geheimnis. Erst kürzlich sprach Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) im Landtag stolz von einer „zweistelligen“ Zahl an Spitzeln, über die man mittlerweile verfüge.
Allerdings: Nach geltender Rechtslage dürfen die Verfassungsschutzämter keine Mandatsträger (Abgeordnete) anwerben. Auch dürfen V-Leute keinen „steuernden Einfluss“ auf die Partei haben.
Ob dies trotzdem der Fall ist – dazu schweigen Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang (CDU) und die ultralinke Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bislang. Schon vor mehr als einem Jahr verlangten die Anwälte der AfD diesbezüglich Auskunft.
Die AfD-Anwälte insistieren jetzt erneut, das Gericht müsse dringend aufklären, „welche entscheidungserheblichen Äußerungen einzelner Funktionäre“ in Wahrheit von V-Leuten stammten „und ob diese rechtswidrig (…) steuernden Einfluss“ auf die AfD genommen haben bzw. noch immer nehmen.
Fake-Accounts als „virtuelle Agenten“
Heikel wird es auch, weil der Verfassungsschutz im Netz Fake-Accounts unterhält, die seine angeblichen Beweise gegen die AfD und deren Jugendorganisation stützen sollen: Mit mehreren Hundert hauptamtlichen Verfassungsschutzmitarbeitern betreibt der Inlandsgeheimdienst in sozialen Netzwerken gefälschte Konten von vorgeblich „rechtsextremen“ Usern. Der Verfassungsschutz selbst spricht von „virtuellen Agenten“. Diese dürfen in einem gewissen Rahmen sogar Straftaten begehen, zum Beispiel Volksverhetzung.
Unklar ist, in welchen Chatgruppen sie mit ihren „rechtsextremen“ Fake-Accounts ebenfalls mitmischen. Soziale Medien und Chatgruppen – das sind aber exakt die Quellen, auf die sich der Verfassungsschutz in seinem 1.000 Seiten starken Gutachten über die behauptete Radikalität der AfD „fast ausnahmslos“ stütze, argumentieren die AfD-Anwälte in ihrer Berufungsbegründung.
Im Raum steht also der Verdacht, dass der Staat in Gestalt der politisch verantwortlichen SPD-Innenministerin Nancy Faeser und ihres willfährigen CDU-Handlangers, Verfassungsschutz-Chef Thomas Haldenwang, nachgeholfen hat, um die AfD als „rechtsextremistisch“ zu brandmarken.
15.000 Seiten Prozessakten
Der Prozess ist auch eine Materialschlacht. Nachdem das Kölner Verwaltungsgericht dem Bundesamt für Verfassungsschutz im März 2022 Recht gegeben hatte, legte die Kölner Kanzlei Höcker Berufung ein und begründete sie mit einem 319-seitigen Schriftsatz. Die Kanzlei Redeker erwiderte im Auftrag des Bundesamts auf die Berufungsbegründung mit 409 Seiten, auf denen sie darlegte, warum das Bundesamt für Verfassungsschutz angeblich Recht habe.
AfD-Anwälte halten Richter für befangen
Die AfD-Anwälte wollten den Vorsitzenden Richter Gerald Buck für befangen erklären lassen, kamen damit aber nicht durch. Der Vorwurf lautete, Buck sei parteiisch und übe „Gesinnungsjustiz“. Zum Beispiel habe sein Senat dem Verfassungsschutz auf Antrag Fristverlängerungen gewährt, entsprechende Anträge der AfD aber abgelehnt.
Nach Angaben einer Gerichtssprecherin umfassen die Gerichtsakten insgesamt rund 15. 000 Seiten. Der riesige Aktenberg wird zu einem großen Teil in einem eigenen Raum gelagert. Verhandelt wird aus Platzgründen in der Halle des Gerichts. Es sind fast 100 Journalisten angemeldet.