Gut neun Monate vor der Bundestagswahl steht der digitale CDU-Parteitag (Freitag/Samstag) im innenpolitischen Fokus dieser Woche. Wer auch immer dann zum neuen Parteichef der Christdemokraten gewählt wird: Die wichtigste Machtfrage, nämlich wer die Union als Kanzlerkandidat in die Wahlschlacht führt, bleibt weiter offen.
In der Einladung an die 1.001 Delegierten heißt es: Dieser Parteitag werde »in Vielem anders sein«. Wohl wahr: Es ist eine politische Slapstick-Komödie, die der digitalisierte Merkel-Trümmerhaufen da aufführt. Der Beifall und die Nationalhymne am Schluss kommen aus der Konserve!
Dazu folgende groteske Regieanweisung in der Einladung: »Nehmen Sie ein Video von sich auf, wie Sie sichtbar Applaus spenden (ca. 60 Sekunden, gerne lächelnd), um u. a. nach der Abstimmung über den neuen Parteivorsitzenden Ihre Anerkennung sichtbar machen zu können … Nehmen Sie ein weiteres Video auf, in dem Sie unsere Nationalhymne singen – keine Sorge: Sie werden nicht einzeln zu hören sein, sondern Ihre Stimme wird zusammen mit vielen anderen Stimmen in einem großen Chor erklingen. So werden Sie mit Ihren Videos elementarer Teil unseres digitalen Parteitags sein.«
Damit auch wirklich nichts schiefgeht, gibt es für die Delegierten sogar eine Anleitung, wie man das Handy zu halten hat und den Ausschnitt richtig wählt. Für nicht ganz textfeste Unionsmitglieder wird zur Sicherheit noch der richtige Text der Hymne mitgeliefert. »Einigkeit und Recht und Freiheit / für das deutsche Vaterland! …«
Doch wer macht das Rennen um den CDU-Vorsitz? Hört man sich unter CDU-Delegierten um, so ergibt sich im Vorfeld des Parteitags folgendes Lagebild bezüglich der beiden Hauptakteure:
- Friedrich Merz geht als Favorit in die Abstimmung. Der Sauerländer hat deutlichen Rückhalt in den ostdeutschen Landesverbänden und eine Mehrheit in Baden-Württemberg, Niedersachsen sowie Hamburg hinter sich. Hinter ihm stehen zudem die Mittelständler, weitgehend die Junge Union (JU), der Wirtschaftsflügel und die politisch allerdings bedeutungslose Werteunion.
- Armin Laschet rekrutiert seine Gefolgschaft im Wesentlichen aus den Landesverbänden Schleswig-Holstein, Saarland und Rheinland-Pfalz. Zudem kann der NRW-Büttenredner auf die Stimmen des Arbeitnehmerflügels, der Frauen-Union und der unverbesserlichen »Merkelianer« zählen. Hessen und Laschets Heimatbasis, der mitgliederstärkste Landesverband Nordrhein-Westfalen, der rund ein Drittel der Delegierten stellt, gelten als gespalten. Darauf setzt ganz offensichtlich der dritte Bewerber, der schwarz-grüne Klima-Ministrant Norbert Röttgen. Seiner Bewerbung werden trotz starker öffentlich-rechtlicher Protektion nach wie vor nur Außenseiterchancen eingeräumt. Außerdem haben viele Delegierte Röttgens Debakel als Spitzenkandidat bei der NRW-Landtagswahl 2012 nicht vergessen.
Betrachtet man die Stimmungslage in toto, spricht vieles dafür, dass Merz sich in der voraussichtlichen Stichwahl (Samstag) durchsetzt. Von dem Sauerländer erhoffen sich die nicht zuletzt auf ihre Mandate (Bundestag, Landtage, Kommunalparlamente) schielenden Delegierten vor allem, dass er im Superwahljahr 2021 mit insgesamt acht wichtigen Wahlen bürgerliche Stimmen, die in den vergangenen Jahren an AfD und FDP verloren gingen, zurückholt.
Merz kann zudem seine Wirtschaftskompetenz als Vorteil gegenüber den Mitbewerbern ausspielen. Die dürfte gefragt sein, wenn es an die finanzielle und wirtschaftliche Bewältigung des Lockdown-Irrsinns geht. Die Delegierten spüren: In wirtschaftlichen Krisenzeiten verlangt es die Wähler nach starken Leitfiguren, nicht nach weich gespülten Kompromisslern und Süßholzrasplern wie den Worthülsendesigner Laschet.
A B E R:
Die wirkliche Machtfrage, nämlich wer Unions-Kanzlerkandidat wird, wäre mit der Wahl von Merz zum CDU-Vorsitzenden nicht abschließend geklärt – auch wenn der Sauerländer als CDU-Chef seinem Traum vom Kanzleramt einen großen Schritt näher kommen dürfte.
Zwei weitere Akteure dürften sich in den kommenden Wochen bei der Debatte um die sogenannte K-Frage in den Vordergrund schieben:
- Trotz aller Dementis sondiert der Corona-Totalversager Jens Spahn (CDU) in der Union seine Chancen auf die Kanzlerkandidatur. Ganz offensichtlich spekuliert der Gesundheitsminister auf eine im Frühjahr einsetzende Impfeuphorie, die das ihm angelastete Impfdesaster zu Jahresbeginn vergessen machen und ihn in den Umfragen noch höher tragen könnte.
- Allgemein wird in der Union auch damit gerechnet, dass der von Machtgeilheit zerfressene CSU-Chef und Corona-Sheriff Markus Söder noch Anspruch auf die Kanzlerkandidatur erhebt – dies mit Blick auf seine bundesweit unbegreiflich hohen Zustimmungswerte, die er trotz Testpannen und Impfstoff-Chaos im Freistaat Bayern hat. Denn wenn Söder eines wirklich will, dann dies: der erste schwarz-grüne Kanzler werden!
So läuft es im Frühjahr bei der K-Frage für Deutschland darauf hinaus: Wer wäre das geringste Übel im Kanzleramt? Wer könnte in einer schwarz-grünen Koalition die größten politischen Torheiten, z. B. massive Steuererhöhungen, am ehesten verhindern? Unter dem Gesichtspunkt der Schadensbegrenzung müsste man wohl Merz die Daumen drücken – auch wenn es einem schwerfällt eingedenk seiner Ausfälle gegen die AfD als einzig wirklich konservative Kraft im Lande. (oys)