Jetzt, wo es nicht mehr nur „fünf vor 12“ ist mit Blick auf den Niedergang der Industrienation Deutschland, sondern mindestens schon „halb eins“, wachen die bislang regierungsgläubigen Wirtschaftsbosse reihenweise auf. Auch Peter Leibinger, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), findet im Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ deutliche Worte, wenn auch reichlich spät: „Unser industrieller Kern ist in der Tat in Gefahr!“
Der BDI-Chef beschreibt die Stimmung in den Unternehmen als explosiv. Leibinger warnte: „Die Stimmung ist extrem negativ, teils regelrecht aggressiv!“ Beim Start der schwarz-roten Regierung im Mai sei die Lage der Wirtschaft kritisch, die Stimmung aber hoffnungsvoll gewesen. Jetzt seien die Probleme nicht weniger geworden, viele in der Wirtschaft seien aber „so maßlos enttäuscht, wie ich es noch nie erlebt habe“, so der BDI-Chef.
Schwerste Krise seit 1949: Steuern runter!
Leibinger rechnet schonungslos mit der Politik ab: „Wir stecken in der schwersten Wirtschaftskrise seit Gründung der Bundesrepublik – längste Rezession, Produktionsschwund seit 2018, geringes Produktivitätswachstum, Letzter im Wachstum unter den großen Volkswirtschaften. Unser Gesellschaftsmodell droht uns zwischen den Fingern zu zerrinnen.“
Der BDI-Chef zerpflückte die von Schwarz-Rot fortgesetzte Politik sozialer Wohltaten: „Wir haben eine Sicherheitsmentalität befördert, die besagt, dass der Staat den Menschen praktisch jedes Lebensrisiko abnimmt. Diese Mentalität erstickt uns nun, da sich die Bedingungen komplett zum Schlechten gedreht haben: Wir haben Krieg in Europa, wichtige Volkswirtschaften halten sich nicht mehr an die Handelsregeln, sondern schotten sich mit Zöllen ab, die Welt zerfällt in Einflusszonen, in denen die jeweiligen Großmächte eine brutale Machtpolitik betreiben.“
Leibinger forderte rasche Steuersenkungen, um Investitionen anzukurbeln. Das grundsätzliche Problem sei aber: „Statt über das große Ganze zu diskutieren, verhaken wir uns ständig in Einzeldebatten, etwa über das Heizungsgesetz oder die Erhöhung der Pendlerpauschale. Die Pendlerpauschale entscheidet aber nicht über die Rettung des Standorts.“
Der BDI-Präsident resümiert: „Unser Kernproblem ist die Geschwindigkeit. Wir sind schlicht viel zu langsam.“