DK-Gastautor Einar Koch sieht den heutigen Tag der Deutschen Einheit mit gemischten Gefühlen. „Einheit in Freiheit“ hieß vor 35 Jahren das Motto, unter dem sich die Deutschen in Ost und West wiedervereinigten. Mit Blick darauf sieht der Autor eigentlich wenig Grund zum Feiern – eher zur Nachdenklichkeit.
Wir sind das Volk
VON EINAR KOCH*
35 Jahre Deutsche Einheit: Die meisten Menschen in Deutschland freuen sich am heutigen „Tag der Einheit“ vor allem über eines: ein langes Wochenende!
Die Politiker feiern heute in Saarbrücken – und sie dürften sich auf dem „Ländermeilen“-Jahrmarkt der politischen Eitelkeiten mit Tanz und Gesang vor allem wieder einmal selbst feiern. Natürlich werden wir auch die alljährlich wiederkehrende Standard-Litanei hören, dass es „noch viel zu tun gibt“.
Ob der 3. Oktober, für den die offiziellen Feiern jedes Jahr in einem anderen Bundesland ausgerichtet werden , ein wirklich würdiger Nationalfeiertag ist, darüber gehen die Meinungen auseinander, seit Technokraten diesen künstlichen Feiertag geschaffen haben. Der 3. Oktober markiert mit dem Beitritt der zusammengebrochenen DDR zur Bundesrepublik Deutschland im Herbst 1990 ein reines Vollzugsdatum.
Der 9. November wäre aus meiner Sicht ein passenderer Nationalfeiertag gewesen. Kein anderes Datum ist mehr „Schicksalstag der Deutschen“, markiert die Höhen und Tiefen der jüngeren deutschen Geschichte – von der Ausrufung der Republik 1918 über die Pogromnacht 1938 bis zum Fall der Berliner Mauer 1989. Dieses historische Datum wäre ein würdigerer Anlass gewesen – für Gedenken und Mahnen, aber auch für Nationalstolz auf die einzige friedliche Revolution, die es bisher in der Weltgeschichte gegeben hat.
Sei’s drum: Auch wenn er ein Kunstdatum ist, symbolisiert der 3. Oktober 1990 etwas ganz Wichtiges: Seither gilt das Grundgesetz für das gesamte Deutsche Volk! Und DAS sollte heute der eigentliche Grund zum Feiern sein. Feiern?
Statt Feiern mit Schuhplatteln auf der „Ländermeile“ wäre es vielleicht eher angebracht, am heutigen Tag innezuhalten, zu reflektieren, sich zu erinnern. Denn „Einheit in Freiheit“ (!) hieß das Motto, unter dem Ostdeutsche und Westdeutsche wieder zusammengefunden hatten.
Eine Generation nach der Wende ist Deutschland immer noch (oder wieder) ein tief gespaltenes Land. Vor allem politisch und gesellschaftlich. Und die aktuelle Politik, wenn man so will „das System“, tut alles, dass es so bleibt – von der Ausgrenzung jedes fünften Wählers hierzulande durch die idiotische „Brandmauer“ über die Hexenjagd auf politisch Andersdenkende bis hin zur unsäglichen Debatte über das Verbot einer zu stark und unbequem gewordenen Partei. Dass der amtierende Bundespräsident den Spitznamen „Walter, der Spalter“ trägt, sei hier nur am Rande angemerkt.
„Einheit in Freiheit“ – ist Deutschland überhaupt noch ein freies Land? Immer mehr Menschen im Inland wie im Ausland bezweifeln das. Was darf man in Deutschland noch sagen? Ist es nicht beklemmend, wenn manche Ostdeutsche heute sogar meinen, sie hätten sich in der DDR freier gefühlt?
Heute, wo auf der „Ländermeile“ wieder geschuhplattelt wird, sollten wir uns vor allem an zwei zentrale Aussagen im Grundgesetz erinnern: „Alle Gewalt geht vom Volke aus“ – nicht von Parteien, vom Verfassungsschutz schon gar nicht! UND: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten“ – auch wenn Merz, Klingbeil & Co. in der Tradition von Nancy Faeser unter „Demokratie leben“ etwas anderes verstehen, nämlich die Alimentierung linksgrüner NGOs auf Kosten der Steuerzahler und die Unterdrückung der Meinungsfreiheit.
Als Rheinländer habe ich genauso wie die Bayern und Sachsen eine leicht anarchistische Ader. Auch daran sollten wir uns heute mit Stolz erinnern: dass „Deutschsein“ heißt, immer auch aufmüpfig zu sein, gegen einen zu mächtig gewordenen Staat aufzubegehren, ihn in die Schranken zu weisen!
*Einar Koch, Jahrgang 1951, war von 1992 bis 2003 Leiter der Parlamentsredaktion der „Bild“-Zeitung in Bonn und Berlin, Politik-Chef des Blattes und zuletzt Politischer Chefkorrespondent.
