Diederich Heßling, Hauptperson des Heinrich-Mann-Romans „Der Untertan“, ist der Inbegriff eines moralelastischen Opportunisten. Immer schön gut stellen mit den Mächtigen, um in deren Windschatten glänzende Geschäfte zu machen, ist seine Maxime. Seine Fabrik führt er wie ein kleiner Kaiser, richtet über das Privatleben seiner „Untergegebenen“ und sagt ihnen schneidig an, dass hier „forsch gearbeitet“ werde und er keine sozialdemokratischen Umtriebe dulde.
Gibt’s nicht mehr, solche Typen? Von wegen: Der Untertan ist eine zeitlose deutsche Figur. Ein aktuelles Prachtexemplar ist im Norden Baden-Württembergs zu finden: Reinhold Würth, der „Schrauben-König“, der vom Hohenlohischen aus die Fäden in einem weltweit operierenden Firmenimperium zieht.
Die Würth-Gruppe ist mit über 85.000 Mitarbeitern und fast zwanzig Milliarden Euro Jahresumsatz Weltmarktführer für Montage- und Befestigungstechnik. Der bald 89jährige Firmenpatriarch ist mehrfacher Milliardär, gefällt sich als Mäzen und Kulturförderer, Politik und Honoratioren hofieren ihn. Gegenüber den eigenen Mitarbeitern, die die Milliardenergebnisse erwirtschaften, ist das Unternehmen dagegen notorisch knauserig. Milliardär wird man schließlich nicht durch Großzügigkeit.
Der Mann hätte es im Grunde also gar nicht nötig, sich zum Clown der etablierten Politikerkaste zu machen. Reinhold Würth tut es trotzdem, der Diederich Heßling in ihm kann wohl nicht anders. Zwar hat er sich inzwischen auf den Vorsitz des Aufsichtsrats der Familienstiftung zurückgezogen. Er und sein Clan führen das Familienunternehmen nach Gutsherrenart, entsprechend mies ist das Betriebsklima.
Seit letzter Woche dürfte es noch weitaus mieser sein. Da hat Reinhold Würth nämlich an alle rund 25.000 deutschen Mitarbeiter einen fünfseitigen Brandbrief geschrieben und sie dazu vergattert, gefälligst nicht die böse AfD zu wählen. Und damit seine Angestellten, die in der Regel auf ihren Job angewiesen sind, die Ermahnungen des Patriarchen nicht einfach wegklicken, wenn sie schon nicht dagegen aufbegehren können, hat er auch noch angeordnet, dass die Abteilungsleiter in allen Tochterunternehmen den Brief ihren Leuten laut vorlesen und anschließend an die Informationstafeln hängen.
Einer der reichsten Männer der Welt zieht die Handschuhe aus und schlägt sie seinen Angestellten, die auch für seinen Reichtum arbeiten, glatt ins Gesicht. Er schließe sich den „Millionen“ an, die auf den Kundgebungen „gegen rechts“ signalisiert hätten, dass sie keine grundsätzlichen Veränderungen am politischen System wünschten. Heißt im Klartext: Er reiht sich in den „grün“-linken Ampel-Fanclub ein – aktuellen Umfragen zufolge war es fast ausschließlich deren Klientel, die nach der „Correctiv“-Inszenierung auf die Straße ging.
Die AfD wolle dagegen eine „Diktatur“ errichten, behauptet Würth faktenfrei, aber linientreu. Dass Frau Faeser, ihr VS-Erfüllungsgehilfe Haldenwang und die „grüne“ Nomenklatura gerade mit Hochdruck an der Perfektionierung einer linken Gesinnungsdiktatur arbeiten, ist ihm wohl entgangen, er musste ja strammstehen und salutieren, als Innenministerin Faeser die Unternehmer zu den Waffen rief und zu klarer Positionierung gegen die unerwünschte AfD aufforderte.
Es gehe den Deutschen doch gut, Deutschland sei reich, schwadroniert der Firmenchef im „Grünen“-Propagandajargon weiter. Keiner müsse hungern und frieren – von den hunderttausenden, die die explodierenden „grünen“ Energiepreise nicht mehr bezahlen können, von flaschensammelnden Rentnern und Familien, die sich nicht mal mehr einen Restaurantbesuch leisten können, hat er natürlich auch nichts mitbekommen.
Nein, für Reinhold Würth ist alles prima im besten Deutschland, das wir jemals hatten. Die Sozialeinrichtungen in Bund und Ländern „überschütten geradezu die Bedürftigen mit Hilfsangeboten“ – jedenfalls die, die noch nicht so lange hier leben. Er „wette, dass der durchschnittliche AfD Wähler über ein eigenes Auto verfügt und mindestens einmal im Jahr in den Urlaub fährt“ – da kennt der Herr Milliardär, stolzer Eigner der 85-Meter-Megayacht „Vibrant Curiosity“, die Lebensrealität der Normalbürger freilich schlecht: Mehr als jeder fünfte Deutsche kann sich gar keinen Urlaub mehr leisten.
Aber Reinhold Würth lässt sich seine Begeisterung für die Mächtigen nicht einfach so kaputtreden. Es sei doch „wunderbar“, dass „unser Deutschland“ eine Ampelregierung aushalten könne, die „trotzdem das eine oder andere positive Gesetz auf den Weg bringt“ – welches das sein soll, bleibt sein Geheimnis. Mit erhobenem Zeigefinger ermahnt der Firmenchef seine Mitarbeiter, nur ja nicht „wegen ein bisschen Spaß an der Freude Rabatz zu machen und aus Unmut über die Ampelregierung die AfD zu wählen“.
Einer, der selbst keine materiellen Sorgen kennt, maßt sich also an, den AfD-Wählern unter seinen Angestellten – statistisch immerhin mindestens jeder Fünfte, also etwa fünftausend von 25.000 deutschen Würth-Mitarbeitern – die Ernsthaftigkeit ihrer politischen Entscheidung abzusprechen. Arroganter kann ein Chef die Leute, die für ihn arbeiten und sein Vermögen vermehren, kaum noch verhöhnen.
Dabei zeigen gerade sie den Mut, den der Firmenboss in ungleich privilegierterer Position nicht aufbringt: Der Politik die Meinung zu sagen und deutlich zu widersprechen, wenn sie die Wirtschaft an die Wand fährt und den Wohlstand und die Zukunft des ganzen Landes riskiert.
2008, nach seiner Verurteilung wegen Steuerhinterziehung, hatte Reinhold Würth übrigens noch erzürnt die österreichische Staatsbürgerschaft angenommen und ernsthaft mit dem Gedanken gespielt, seinen Firmensitz in die Schweiz zu verlegen. Solche Fluchtwege stehen nebenbei bemerkt den von ihm geschmähten normalen Bürgern und Arbeitnehmern im allgemeinen nicht so ohne weiteres offen.
Es mag am Greisenalter liegen, wenn ein Firmenchef, der nicht loslassen kann, sich die Lage so unverfroren schönredet und schlicht nicht mehr zur Kenntnis nehmen will, wie die Welt um ihn herum aussieht. Das wäre tragisch.
Wieder andere meinen, Würth ziehe deswegen so bösartig gegen die AfD zu Felde, weil es ausgerechnet ein Angestellter mit AfD-Parteibuch gewesen war, der 2019 die Einrichtung eines Betriebsrats im Unternehmen erzwungen hatte, gegen den sich der selbstherrliche Unternehmer jahrzehntelang erfolgreich gesträubt hatte.
Auch das wäre ein erbärmliches Motiv, aber die Wahrheit ist vermutlich noch banaler. Der Opportunist Reinhold Würth liebt die Macht und die Mächtigen, er möchte von ihnen gelobt und umschmeichelt werden. So wie vom „grünen“ baden-württembergische Finanzminister Danyal Bayaz, der sich bei ihm bereits artig für die „klare Haltung“ bedankt hat.
Die Mächtigen, mit denen sich ein guter Untertan besser nicht anlegt, sind heute die „grün“-roten Ökosozialisten. Also schlägt Reinhold Würth ihnen zu Gefallen auf die freiheitliche Opposition ein – so wie einst Diederich Heßling auf die Sozialisten.
Dass er den neuen, „grünen“ Totalitarismus vorantreibt, wenn er sein Unternehmen ideologisch für den politisch verordneten „Kampf gegen rechts“ missbraucht, übersteigt vermutlich den Horizont seiner Untertanen-Eitelkeit. Auch das ist nichts Neues. Der Weg in den Abgrund war noch zu jeder Zeit mit willigen Mitläufern gepflastert.