Zum 21. Mal seit 1949 wählt Deutschland am 23. Februar sein nationales Parlament, den Deutschen Bundestag. Sieg und Niederlage, Licht und Schatten – Tränen der Freude, Tränen der Verzweiflung: Wie oft lagen sie in irren Wahlnächten dicht beisammen!
Unser Gastautor Einar Koch erzählt in dieser fesselnden zeitgeschichtlichen DK-Sonderserie die spannendsten Wahlnächte seit 1949. Im Mittelpunkt des ersten Teils stand die Nachkriegs-Ära in den 50er Jahren unter CDU-Kanzler Konrad Adenauer. Der zweite Teil wirft einen Blick zurück auf die goldenen Wirtschaftswunderjahre in den Sechzigern.
VON EINAR KOCH*
1961: Der Anfang vom Ende Adenauers
Die Wahl am 17.September 1961 bedeutete nach 12 Jahren und drei Tagen den Anfang vom Ende der Ära Adenauer. Für die „Bild“-Zeitung war es am nächsten Morgen die „aufregendste Wahlnacht, die Bonn je erlebt hat.“
► Über Westdeutschland ging ein neuer Stern auf: Willy Brandt, Regierender Bürgermeister von Berlin und Kanzlerkandidat der SPD. Die SPD legte um 4,4 Prozentpunkte auf 36,2 Prozent zu, die Union (45,3 Prozent) verlor die absolute Mehrheit. Die Wahlbeteiligung weiterhin hoch: 87,7 Prozent!
Adenauer war im Wahlkampf angelastet worden, zu zögerlich auf den Mauerbau (1961) reagiert zu haben. Nur mit dem Versprechen, vorzeitig einem Nachfolger zu weichen, gelang es ihm, FDP-Chef Erich Mende („Mit der CDU-aber ohne Adenauer“) zur Koalition zu überreden. Die Liberalen (12,8%) wurden als „Umfaller“ verhöhnt.
Ein neuer Stern am Polit-Himmel
In dieser Wahlnacht schlief Adenauer nicht schon wie sonst vor Mitternacht. Versteinert starrte er auf den Fernseher in der Küche seiner Haushälterin, der Witwe Schlief. Erst um 2.30 Uhr, als der Verlust der absoluten Mehrheit feststand, ging er wortlos ins Bett. Das zerfurchte Indianergesicht des 85-Jährigen war über Nacht noch einmal um Jahre gealtert.
Die SPD „ließ die Sektkorken knallen“, schrieb das „Hamburger Abendblatt“. Willy Brandt war am Wahlabend mit einer britischen Chartermaschine von Berlin nach Bonn geflogen. Der SPD-Kanzlerkandidat, im Wahlkampf von Adenauer wegen seiner unehelichen Herkunft als „alias Herbert Frahm“ verhöhnt, hatte sich allerdings mehr erhofft. Hämisch begrüßte ihn SPD-Chef Erich Ollenhauer in der Bonner SPD-Baracke: „Andere kochen auch nur mit Wasser.“
1965: Der Computer wird Wahlsieger!
Am Abend des 19. September 1965 packte die Bundesdeutschen zum ersten Mal so richtig das Wahlfieber: Fast jeder zweite Haushalt verfügte jetzt über einen Schwarz-Weiß Fernseher.
Sensationell: Computer konnten Teilergebnisse nicht nur sekundenschnell addieren, sondern auch auf ein zu erwartendes Endergebnis „hochrechnen“. Die Fehlerquote betrug noch beachtliche drei Prozent, weshalb, so der ARD-Wahlmoderator, die wuchtigen Rechner „mit aller Vorsicht zu genießendem Futter“ versorgt wurden. Die „Bild“-Zeitung titelte: „Wahlnacht-Sieger ist der Computer!“
Die Union war mit Wirtschaftswunder-Legende Ludwig Erhard angetreten. Nachdem die „Spiegel-Affäre“ den Abgang Adenauers beschleunigt hatte, war Erhard 1963 vom Bundestag zum neuen Kanzler gewählt worden. Die SPD ging erneut mit Brandt ins Rennen. Die Wahlbeteiligung: 86,8 Prozent.
► CDU und CSU konnten leicht zulegen (47,6 Prozent), die SPD schaffte ordentliche 39,3 Prozent. Zusammen mit der FDP (9,5 Prozent) reichte es wieder für Schwarz-Gelb unter Erhard – allerdings nur für ein Jahr.
Das Bündnis zerbrach im Herbst 1966 im Streit über den Bundeshaushalt und wurde (ohne Neuwahlen) von der ersten Großen Koalition aus Union und SPD unter Kanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU) abgelöst.
1969: Brandt und Scheel schmieden die sozial-liberale Koalition
Die Wahl am 28.September 1969 war die sechste nach 20 Jahren CDU-Kanzlerschaft und ein politischer Neubeginn: Noch in der Wahlnacht vereinbarten Willy Brandt, der zum dritten Mal als SPD-Kanzlerkandidat angetreten war, und FDP-Chef Walter Scheel hinter den Kulissen die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen.
► Nach einer Zitterpartie erhielten SPD (42,7 Prozent) und FDP (5,8 Prozent) zwar weniger als die Hälfte der abgegebenen Stimmen (Wahlbeteiligung: 86,7 Prozent), aber beide Parteien verfügten über die Mehrheit der Mandate, weil die rechtsradikale NPD mit 4,3 Prozent doch noch knapp an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte. Die Union (46,1 Prozent) wurde zwar stärkste Fraktion, war aber der große Verlierer!
Es war der erste richtige Wahlkrimi: Um 18.07 Uhr wurde die letzte bei einem Notar hinterlegte Wahlumfrage bekannt. Das „Institut Allensbach“ sagte einen SPD-Sieg (45,9 Prozent) voraus, sah die Union nur bei 44,8 Prozent. Die FDP mit 5,3 Prozent musste um den Wiedereinzug ins Parlament bangen. Die rechtsradikale NPD stand mit knapp fünf Prozent kurz vor dem Sprung in den Bundestag.
Mit den ersten Hochrechnungen 50 Minuten später schien auf einmal alles anders: Die Institute sahen die CDU/CSU plötzlich bei 47 Prozent (SPD 40 Prozent, FDP 5-6 Prozent).
Dann, um 20.40 Uhr, traf es das politische Bonn wie ein Keulenschlag: Die NPD näherte sich gefährlich nahe der Fünf-Prozent-Hürde (ARD: 4,7 Prozent; ZDF: 5 Prozent)!
„Schnick-Schnack“, kommentierte Wahlverlierer Kiesinger trotzig die Hochrechnungen, als die vorübergehend mögliche absolute Unions-Mehrheit in den Prognosen wieder zerbröselte.
SPD-„Zuchtmeister“ Wehner („Onkel Herbert“) wollte eine neue Große Koalition. TV-Reporter fauchte er auf Fragen nach einem möglichen Bündnis mit der FDP an: „Mit dieser Pendlerpartei?“
FDP-Chef Scheel schickte daraufhin empört einen Emissär zu Brandt in die SPD-Baracke: „Noch ein solches Wort, dann kommt die Koalition nicht zustande.“ Brandt zitierte Wehner zu sich, zwang ihn zum Widerruf.
► Um 23.30 Uhr, als feststand, dass die NPD an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert war, bot Brandt der FDP öffentlich Gespräche über eine Regierungsbildung an.
Eine neue Ära begann, die der sozial-liberalen Koalition. Sie sollte bis 1982 dauern. Die Ostpolitik unter Kanzler Brandt schaffte die Voraussetzungen für die Einheit Deutschlands 20 Jahre später.
Lesen Sie im dritten und letzten Teil, wie Edmund Stoiber (CSU) hauchdünn den schon sicher geglaubten Wahlsieg verfehlte und wie mit der Wahl von Angela Merkel 2005 zur Kanzlerin das Unglück Deutschlands bis heute besiegelt wurde.
*Einar Koch, Jahrgang 1951, war von 1992 bis 2003 Leiter der Parlamentsredaktion der „Bild“-Zeitung in Bonn und Berlin, Politik-Chef des Blattes und zuletzt Politischer Chefkorrespondent.
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