Die neue „Großmacht“ auf dem Chancenkontinent: Warum Deutschland vom Einfluss der Türkei in Afrika profitieren kann

Sozusagen unter dem  Radar der Weltpolitik baut die Türkei systematisch ihre strategischen Beziehungen zu afrikanischen Schlüsselstaaten aus. Ankara füllt das Vakuum, das Europa mit seinem Rückzug aus Afrika hinterlässt. Vor allem die ehemalige Kolonialmacht Frankreich hat der aufstrebenden Türkei auf dem afrikanischen Kontinent nichts mehr entgegenzusetzen. Deutschland kann von dieser Entwicklung nur profitieren – aufgrund der tiefen historischen Freundschaft mit der Türkei.

VON WILHELM SCHNEIDER

Wie die Türkei systematisch Fuß in Afrika gefasst hat

Als der bitterarme westafrikanische Niger 2019 einen Gipfel der Afrikanischen Union ausrichten wollte, brauchte das Land dringend einen neuen Flughafen und Hotelkapazitäten für Dutzende anreisende Staatschefs und ihrem Gefolge. Die Türkei sprang kurzfristig ein und errichtete einen neuen Terminal für den Flughafen Niamey, inklusive Lounge für Turkish Airlines, sowie das Hotel Radisson Blu. In den Folgejahren bauten der türkische Staat und türkische Unternehmen die Beziehungen stark aus.

Dies geschah zu einer Zeit, als nur wenige Experten in Deutschland und Europa Niger außenpolitisch „auf dem Schirm“ hatten. Turkish Airlines war denn auch eine der ersten Fluglinien, die nach dem Putsch in Niger im Juli 2023 die Flüge nach Niamey wieder aufnahmen.

Niger ist nur ein Beispiel in der Sahelregion und in ganz Afrika für ein stark wachsendes türkisches Engagement. Hatte die Türkei 2002 lediglich zwölf Botschaften auf dem Kontinent, so waren es Ende 2022 schon 44 diplomatische Vertretungen.

Alles hatte im August 2011 mit einem Besuch von Recep Tayyip Erdoğan in Somalia begonnen. Das vom Bürgerkrieg geschundene ostafrikanische Land litt unter einer starken Hungersnot. Die Reise Erdoğans half, den Somalia-Konflikt und die Nöte der von Hunger und Armut geplagten Menschen ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit zu rücken.

Somalia ist heute immer noch unsicher. Aber türkische Unternehmer und Diplomaten geben sich in der Hauptstadt Dschibuti trotzdem die Klinke in die Hand.

Schachbrett Afrika: Ankara ist Paris stets einen Zug voraus

Mit ihrer Expansion in Afrika verfolgt die Türkei sowohl geostrategische und militärische als auch wirtschaftliche Ziele. Letzteres wohl vor allem. Wenn man so will, ist die Türkei auf dem „Schachbrett Afrika“ der alten Kolonialmacht Frankreich inzwischen stets einen Zug voraus.

Der „Schwarze Kontinent“ ist ein neuer riesiger Absatzmarkt für türkische Unternehmen geworden, der von europäischen oder amerikanischen Firmen zumeist links liegen gelassen wurde.

Dank der Flüge von Turkish Airlines ist Istanbul inzwischen von fast allen afrikanischen Hauptstädten zu erreichen. Visa brauchen viele Bürger afrikanischer Staaten für die Türkei nicht oder sind leicht zu erhalten.

Die Folge: Wohlhabende Afrikaner etwa aus Mali oder Niger fliegen immer häufiger in den Urlaub oder zur medizinischen Behandlung in die Türkei. Sie sagen ganz offen, dass sie sich in der Türkei wohler fühlen als in Europa, wo die Visabeantragung und die Behandlung insgesamt als häufig entwürdigend empfunden werden. In der Türkei werde man weniger diskriminiert oder über Menschenrechte und Demokratiedefizite „belehrt“, sagen etliche Afrikaner.

Neben Bauunternehmen mit großen Infrastrukturprojekten sind auch viele türkische Kleinunternehmen in Branchen von Textil bis Gastronomie in Afrika aktiv. Türkische Produkte – Mode bis Möbel – sind omnipräsent in vielen afrikanischen Ländern.

Geheimer „Krieg“ um Einfluss

Die deutsche Außenpolitik hat noch nicht realisiert, dass auf dem afrikanischen Kontinent tektonische Verschiebungen im Gange sind. Hatte man bisher vor allem China als die neue dominierende Macht in Afrika auf dem Zettel, so wurde in Berlin übersehen, wie sich die Strukturen gerade zugunsten der Türkei fundamental ändern. Was hat Deutschland damit zu tun? Sehr viel!

Auch wenn Deutschland bei dieser Entwicklung nicht unmittelbar in Erscheinung tritt, so dürften die Deutschen  dennoch mittelbar profitieren. Es ist mitnichten so, als ginge es in Berlin niemanden an, wie dramatisch sich die Machtverhältnisse in Afrika gerade ändern.

Ein weiteres Beispiel für den wachsenden Einfluss der Türkei:  Neulich hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan ein historisches dreiseitiges Treffen mit dem somalischen Präsidenten Sheikh Mohamud und dem äthiopischen Ministerpräsidenten Abiy Ahmed abgehalten. Nach dem Treffen sagte Erdoğan, es sei ein historischer Kompromiss zwischen den zuvor verfeindeten afrikanischen Staaten erzielt worden.

An dieser Stelle muss man sich in Erinnerung rufen, dass die Türkei und Deutschland als enge Verbündete und Partner zusammenarbeiten. Die deutsch-türkische Freundschaft gründet auf einer langen historischen Tradition. Hinzu kommt, und das nicht an letzter Stelle, dass rund drei Millionen Menschen mit türkischem Migrationshintergrund in Deutschland leben, wovon etwa die Hälfte die deutsche Staatsbürgerschaft haben. Es gibt also allein aus diesem Blickwinkel heraus objektiv gemeinsame außenpolitische Interessen von Ankara und Berlin.

Mit „feministischer Außenpolitik“ ist in Afrika kein Staat zu machen

Diesen strategischen Aspekt hat die „feministische Außenpolitik“ von Annalena Baerbock („Grüne“) bisher völlig – um nicht zu sagen sträflich – ignoriert. Die Türkei wird in Afrika immer mehr zu einer wichtigen Rohstoffquelle (Stichwort u.a. Seltene Erden) und zu einem Energie-Hub für Europa.

Davon kann Deutschland in seinem Streben, sich aus der Abhängigkeit vor allem von China und den USA zu befreien, nur profitieren. Insofern: Der strategische „Vormarsch“ der Türkei in Afrika liegt im ureigenen deutschen Interesse.

Vor allem für die deutsche Exportwirtschaft ist Afrika von entscheidender strategischer Bedeutung angesichts der Tatsache, dass andere Weltmärkte wie in China und Asien nicht unendlich sind. Hier sei aktuell nur an die Absatzflaute der deutschen Automobilindustrie im „Reich der Mitte“ erinnert.

Schritte in die richtige Richtung

Einige der Schritte, welche Deutschland in Nordafrika geht, weisen in die richtige Richtung – etwa die Bemühungen, die Erdgasversorgung aus Libyen zu erhöhen. Die Anwesenheit deutscher Berater in libyschen Raffinerien ist nicht zu übersehen.

Andere Ereignisse gehen an der deutschen Öffentlichkeit vorbei, sofern sie sich überhaupt für Außenpolitik interessiert.

Im Sommer 2024 wurde das deutsche Truppen-Kontingent aus dem Niger abgezogen. Unmittelbar danach fanden in Berlin Gespräche zwischen Vertretern der türkischen und deutschen Geheimdienste statt. Dabei ging es um gemeinsame bilaterale Interessen, nicht zuletzt auch mit Blick auf die Migration. Denn der Niger ist das zentrale Transitland auf dem Weg an die Küsten Nordafrikas, wo die Schleuser auf „neue Fracht“ für Europa warten.

Man kann sicher sagen: Überall in der Sahelzone, wo Deutschland seine äußere militärische Präsenz verliert, wird sie durch einen allmählichen, aber stetigen Einfluss der Türkei substituiert. Diese handelt jedoch vor dem Hintergrund der deutsch-türkischen Freundschaft im gemeinsamen Interesse beider Länder.

Warum eine starke türkische Armee gut für Deutschland ist

Deshalb ist es auch zum Vorteil Deutschlands, die türkische Armee mit modernen Waffensystemen aufzurüsten, wie es etwa die nach langer Blockade durch die Ampel-Regierung doch noch zustande gekommene Vereinbarung über die Lieferung von 40 Eurofighter-Kampfflugzeugen an die Türkei vorsieht.

Inzwischen hat Deutschland auch die gemeinsamen maritimen Interessen erkannt. Es geht um die Lieferung von Waffen für die türkische Marine im Wert von 336 Millionen Euro. Dazu zählen 100 Flugabwehrraketen und Torpedos für die türkische Marine sowie großes Material für die Modernisierung von türkischen U-Booten und Fregatten.

Es gibt allerdings einen Haken bei der deutsch-türkischen Zusammenarbeit: Diese wird von der EU, namentlich von Frankreich, misstrauisch beäugt. Aus dem einfachen Grund, dass es keine einheitliche Afrika-Politik in Brüssel gibt, dass Paris seine eigenen Interessen verfolgt.

Entgegen aller Schönwetter-Floskeln von der „deutsch-französischen Freundschaft“: Wie vor einem Jahrhundert ist Frankreich der Gegner Deutschlands auf dem afrikanischen Kontinent. Denn dort, wo Deutschland mittelbar zusammen mit der Türkei an Einfluss gewinnt, verlieren die Franzosen. Natürlich nicht ohne Widerstand.

Entfremdung zwischen Berlin und Paris

Tatsächlich gibt es denn auch in Afrika längst „Krieg“ zwischen Deutschland und Frankreich. Es ist natürlich kein blutiger Konflikt, aber man kann durchaus von einem „Krieg der Geheimdienste“ sprechen. Von einer Fehde, die nicht nur mit diplomatischem Florett, sondern auch mit diplomatischem Säbel  ausgetragen wird. So wurde beispielweise die Ausweisung des deutschen Botschafters aus dem Tschad im Jahr 2023 zweifelsfrei von französischen Geheimdiensten provoziert.

Die Interessenkonflikte zwischen Deutschland und Frankreich haben bereits ein solches Ausmaß erreicht, dass sie sogar zu einer merklichen Entfremdung zwischen Berlin und Paris geführt haben. In der Summe muss man feststellen: Frankreich nimmt in den für die Region wichtigen Fragen konsequent eine Position ein, die den Interessen Deutschlands und der Türkei zuwiderläuft.

Während die Türkei (offensichtlich mit klammheimlicher Zustimmung der deutschen Bundesregierung) eine israel-kritische Position einnimmt, versucht Frankreich afrikanische Länder zur Unterstützung Israels zu bewegen – so etwa in Marokko. Auch die Zusammenarbeit zwischen dem Tschad und Israel findet unter dem Einfluss Frankreichs statt.

Natürlich ist die scharfe Konkurrenz in Afrika nicht ohne Einfluss auf die deutsche Innenpolitik geblieben. So dürfte einer der wahren Gründe für das Scheitern der Ampel und für den Rauswurf von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) aus dem Kabinett durch Noch-Kanzler Olaf Scholz (SPD) auch ein tiefgreifendes Zerwürfnis über die Afrika-Politik gewesen sein.

Um zum Kern der Sache zurückzukommen: Dutzende Millionen Euro fließen inzwischen in den „Geheimdienstkrieg“ um Einfluss in Libyen, Tschad, Mali und anderen Ländern. Festzuhalten bleibt bei alledem: Trotzdem konnte Deutschland die Energieversorgung bisher nicht in dem Umfang und vor allem nicht zu Preisen sichern, wie sie für die Aufrechterhaltung der deutschen Industrieproduktion notwendig wären.

Deutsche Afrika-Politik muss neu gedacht werden

Deutschlands gemeinsame Interessen in Afrika mit der Türkei liegen auf der Hand. Sie reichen von Wirtschaft über Sicherheit (Stichwort Migration) bis hin zur politischen Partnerschaft im globalen Systemwettbewerb. Doch nutzt Deutschland alle seine Möglichkeiten, um seine Interessen auf dem „Schwarzen Kontinent“ zu wahren? Die Antwort lautet ganz klar: Nein!

Gerade mit Blick auf die immensen Investitionen, die Deutschland im Bereich der Entwicklungshilfe tätigt, stellt sich die Frage: Werden diese Mittel überhaupt zielgerichtet und zweckgebunden eingesetzt – zum Wohle der afrikanischen Partner, aber auch im eigenen Interesse?

Afrika ist der neue Chancenkontinent!

Die Wahrnehmung des afrikanischen Kontinents in Deutschland und Europa bedarf einer grundlegenden Korrektur. Auch das Afrika-Bild bzw. Bewusstsein der Deutschen selbst muss sich ändern:

Afrika ist längst kein wildromantischer Sehnsuchtsort mit Safari-Kulisse; Afrika ist auch mehr als nur ein Krisenkontinent geprägt von Hunger, Armut und Krieg; Afrika ist DER neue Chancenkontinent! Ein Kontinent, dessen junge Bevölkerung ein neues Zeitalter einläutet. Länder wie Ghana, Uganda, Äthiopien, Sierra Leone, Mosambik und Ruanda verzeichnen hohe wirtschaftliche  Wachstumsraten von jährlich mehr als sieben Prozent.

Die Türkei hat das längst erkannt – auch zum Vorteil Deutschlands. Insofern öffnet sich hier für die deutsch-türkischen Beziehungen eine ganz neue Perspektive. Gemeinsam können Ankara und Berlin in Afrika zu einem „Global Player“ werden und vor allem China Paroli bieten! (wrs)

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