Kommt es nach den Landtagswahlen im Osten zu Neuwahlen im Bund?

CDU-Parteichef Friedrich Merz, so heißt es in Berlin, bereite die Union auf Neuwahlen vor. Doch wie realistisch ist diese Möglichkeit? Ex-„Bild“-Politikchef Einar Koch mag nicht so recht dran glauben. Er hält ein anderes Szenario für wahrscheinlicher: Bruch der Chaos-Ampel OHNE Neuwahlen!

VON EINAR KOCH*

Ausgangspunkt der in der Hauptstadt kursierenden Neuwahl-Gerüchte sind die Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen (1. September) sowie in Brandenburg (22.September). Die Umfragen sagen den Ampel-Parteien SPD, „Grüne“ und FDP in Ostdeutschland eine krachende Niederlage voraus, ein einziges Debakel. 

Der sogenannten Kanzlerpartei wie auch den „Grünen“ droht in Sachsen und Thüringen die Einstelligkeit, die FDP fliegt so gut wie sicher aus den Landtagen in Erfurt und Potsdam bzw. schafft in Sachsen auch nach zehn Jahren nicht den Wiedereinzug ins Landesparlament. Das dürfte der heillos zerrütteten Ampel-Regierung, hinter der laut Umfragen nicht einmal mehr ein Drittel der Wähler steht, den Rest geben.

Zusammen mit seinem Generalsekretär Carsten Linnemann plane Friedrich Merz bereits eine Kampagne für eine vorgezogene Bundestagswahl, tuscheln Unionsabgeordnete. Mir scheint allerdings mehr der Wunsch der Vater des Gedankens zu sein. 

Steiniger Weg zu Neuwahlen

Denn der Weg zu Neuwahlen ist steinig. Nach den Erfahrungen aus der „Weimarer Republik“ sieht das Grundgesetz dafür nur zwei, eng begrenzte Möglichkeiten vor: 1. Kanzlersturz durch ein sogenanntes Konstruktives Misstrauensvotum; 2. Der Kanzler stellt die Vertrauensfrage und verliert diese.

Möglichkeit eins scheidet aus, weil bei einem Misstrauensvotum der Deutsche Bundestag gleichzeitig einen neuen Kanzler wählen müsste – nach Lage der Dinge dann Friedrich Merz. Woher der aber eine realistische parlamentarische Mehrheit nehmen wollte, steht in den Sternen (es sei denn, Merz würde sich nicht nur mit Stimmen der „Grünen“ sondern auch aus der AfD wählen lassen).

Möglichkeit zwei ist zwar eine theoretisch denkbare Option, aber dass Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nach dem absehbaren Ampel-Desaster in Ostdeutschland tatsächlich die Vertrauensfrage erscheint mir sehr unwahrscheinlich. Aus einem ganz profanen Grund: Auf Basis der aktuellen Umfragewerte (Sonntagsfrage) würde etwa ein Viertel der SPD-Abgeordneten nicht wieder in den Deutschen Bundestag zurückkehren.

Scholz hat einen Plan B

Ich halte ein anderes Szenario für eher möglich: Die FDP lässt die Ampel platzen und Scholz wurstelt erst einmal mit einer rot-„grünen“ Minderheitsregierung weiter!

Der von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) angezettelte neue Haushaltsstreit könnte die Ouvertüre für dieses Szenario sein. Denn eines ist klar: Bleiben die Liberalen bis zum bitteren Ende, das heißt bis zur nächsten regulären Bundestagswahl am 28.September 2025, in dieser Horror-Regierung, dann sind sie spätestens in einem Jahr tatsächlich „weg vom Fenster“. Bei einem Ausstieg aus der Ampel könnten sie immerhin noch auf ihr parlamentarisches Überleben im Bund hoffen – nach dem Motto: „Wir haben dieses Mal wirklich das Schlimmste verhindert, liebe Wähler!“(wobei nicht unterschlagen werden soll, dass die FDP das Schlimmste bisher überhaupt erst möglich gemacht hat).

FAZIT: Die Scholz-Ampel dürfte zwar nach den Landtagswahlen im Osten am Ende sein, aber nicht bzw. noch nicht Scholz. Der Kanzler hat nämlich einen Joker, einen Plan B, im Ärmel: Er könnte zumindest einige Zeit mit einer rot-„grünen“ Minderheitsregierung weitermachen – in der Hoffnung auf bessere Zeiten. Er könnte sich sogar irgendwie durchwursteln bis zur Bundestagswahl 2025. Dafür würde eine Minderheitsregierung Scholz nicht einmal einen Haushalt brauchen. Denn das Grundgesetz hat auch für diesen Fall Vorsorge getroffen. Nach Artikel 111 Absatz 1 darf die Regierung in Zeiten vorläufiger Haushaltsführung alle Ausgaben leisten, die nötig sind, um gesetzlich bestehende Einrichtungen zu erhalten und gesetzlich beschlossene Maßnahmen zu finanzieren.

Dieses Szenario, das ich für das Wahrscheinlichere halte, setzt voraus: Entweder die vier FDP-Minister verlassen im Spätherbst das Kabinett von sich aus oder Olaf Scholz wirft die FDP kurzerhand aus der Regierung, um sich dann im Bundestag von Fall zu Fall Mehrheiten zu suchen. Das hat es zwar in der Geschichte der Republik noch nie gegeben, aber man soll bekanntlich niemals „nie“ sagen.

Auch wenn es sich scheinbar absurd anhört – auf nichts hofft der Kanzler insgeheim sehnlicher als auf einen Wahlsieg von Donald Trump im November. Scholz spekuliert darauf, dass er sich dann als letzter westlicher Staatsmann der Vernunft, als Gralshüter von Demokratie, Freiheit und Vielfalt in Szene setzen kann, in einer Welt von immer mehr „Autokraten“. Und genau darauf würde die SPD dann ihre Wahlkampagne 2025 aufbauen: Scholz als Gegenentwurf zu Donald Trump!

 

*Einar Koch, Jahrgang 1951, war von 1992 bis 2003 Leiter der Parlamentsredaktion der „Bild“-Zeitung in Bonn und Berlin, Politik-Chef des Blattes und zuletzt Politischer Chefkorrespondent.

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