DK-Interview mit Staatsrechtler Rupert Scholz: „Ampel-Minister wollen Bürger mit Strafanzeigen einschüchtern!“

Der Staatsrechtler Rupert Scholz (CDU) sorgt sich zunehmend um die Meinungsfreiheit in Deutschland. Dass Bundesminister der Ampel-Regierung, hier vor allem Innenministerin Nancy Faeser (SPD), Bürger mit Strafanzeigen überziehen und drangsalieren, sieht der frühere Bundesverteidigungsminister und Berliner Justizsenator als „Teil einer massiven Einschüchterungskampagne zur Unterdrückung der Meinungsfreiheit, hier in erster Linie in den sozialen Medien.“ Im Gespräch mit Ex-„Bild“-Politikchef und DK-Gastkolumnist Einar Koch* warnt Scholz vor einer „Überstrapazierung des Strafrechts“. Der Top-Jurist begründet erneut, warum er Faesers Compact-Verbot für verfassungswidrig hält.

Staatsrechtler Rupert Scholz

Einar Koch: Herr Prof. Scholz, Minister der Ampel-Regierung haben in gut einem Jahr 138 Strafanzeigen gegen Bürger gestellt. Allein 83 Strafanzeigen tragen die Unterschrift von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), wie aus der Antwort des Bundesjustizministeriums auf eine Anfrage des AfD-Abgeordneten Stephan Brandner hervorgeht. Hinzu kommen etwa 700 Anzeigen, mit denen das Bundestagsbüro von Robert Habeck („Grüne“) diverse Anwaltskanzleien beauftragt hat. Überraschen Sie diese Zahlen?

Rupert Scholz: Nein, überhaupt nicht! Diese Strafanzeigen sind meines Erachtens Teil einer massiven Einschüchterungskampagne zur Unterdrückung der Meinungsfreiheit, hier in erster Linie in den sozialen Medien. 

Einar Koch: Das heißt, Politiker, zumal Minister, sollten bei Strafanzeigen eher zurückhaltend sein?

Rupert Scholz: Das kommt auf den konkreten Einzelfall an. Selbstverständlich hat jeder Politiker, jeder Minister und jede Ministerin das Recht, sich strafrechtlich zur Wehr zu setzen, wenn eine Straftat vorliegt. Paragraf 188 des Strafgesetzbuches (StGB) soll ja explizit Personen des politischen Lebens vor Beleidigung, übler Nachrede und Verleumdung schützen. Wie jeder andere Bürger haben natürlich auch Regierungsmitglieder das Recht, Volksverhetzung gemäß Paragraf 130 StGB zur Anzeige zu bringen. Mein Eindruck ist allerdings, dass, abgesehen von im Einzelfall berechtigten Anzeigen, die Gefahr einer Überstrapazierung des Strafrechts besteht. In jedem Fall ist abzuwägen mit dem Recht der Bürger auf Schutz ihrer Meinungsfreiheit.

Einar Koch: Könnte man sagen: Hier wird vor allem der Paragraf 188 umfunktioniert, um ein künstlich geschaffenes „Delikt“ zu ahnden, das es im Strafrecht gar nicht gibt – nämlich die sogenannte Delegitimierung des Staates?

Rupert Scholz: Sie treffen den Nagel auf den Kopf! Die unsägliche Wortschöpfung von der „Delegitimierung des Staates“, die neben Frau Faeser vor allem der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Herr Haldenwang, penetrant strapaziert, ist pure Ideologie. Vor allem ist sie verfassungswidrig. Denn dieser Begriff „delegitimiert“ die Meinungsfreiheit, das Kernrecht unseres demokratischen Rechtsstaates! Um es ganz klar zu sagen: Jeder Bürger hat das Recht, die Regierung nicht nur zu kritisieren und in Frage zu stellen, sondern sie auch zu verhöhnen. Jeder Bürger hat das Recht, das Grundgesetz oder Teile davon abzulehnen und dies auch öffentlich zu äußern. So kann ich zum Beispiel für die Todesstrafe sein, die nach Artikel 111 der Verfassung in Deutschland abgeschafft ist. Das Grundgesetz garantiert sogar die Freiheit, es abschaffen zu wollen, solange nicht zum gewaltsamen Umsturz aufgerufen wird.

Einar Koch: Der Medienanwalt Joachim Steinhöfel hat dieser Tage im Interview mit der „Weltwoche“ auf einen unglaublichen Fall hingewiesen, in dem ein Journalist aufgrund einer Strafanzeige der Innenministerin zu 210 Tagessätzen verdonnert wurde für die Formulierung, Faeser habe „mitgeprügelt“ bei einem Überfall auf einen AfD-Politiker, der von Unbekannten zusammengeschlagen wurde. Ist eine solche Formulierung Ihres Erachtens noch von der Meinungsfreiheit gedeckt?

Rupert Scholz: Mir scheint der von Herrn Steinhöfel angesprochene Strafbefehl ein Beispiel dafür zu sein, dass hier unverhältnismäßig verurteilt wurde. „Mitgeprügelt“ war in diesem Fall ja ganz offensichtlich nicht wörtlich, sondern im übertragenen Sinne gemeint. Natürlich ist auch eine solche zugespitzte Formulierung zulässig – zumal, wenn Frau Faeser in Interviews dazu aufruft, den aus ihrer Sicht Feinden der Demokratie, ich zitiere wörtlich, „die Zähne“ zu zeigen – in der Tiersprache würde man sagen: zum Angriff überzugehen. Auch vor dem Hintergrund der Festrede des Bundespräsidenten anlässlich des 75-jährigen Bestehens des Grundgesetzes, es dürfe für die Feinde der Demokratie „keine mildernden Umstände“ geben, halte ich es im Rahmen der grundgesetzlich garantierten Meinungsfreiheit für zulässig, im übertragenen Sinne, und nur so kann es ja gemeint sein, von „mitgeprügelt“ zu sprechen. Denn so mancher Zeitgenosse kann die Worte der Innenministerin Faeser und des Bundespräsidenten, Herrn Steinmeier, durchaus als Einladung verstehen bzw. missverstehen, es den „Rechten“ mal so richtig zu zeigen; ihnen, wie es im Volksmund heißt, ordentlich was aufs Maul zu geben. Umgekehrt musste es sich die AfD ja auch gefallen lassen, dass ihr fälschlich vorgeworfen wurde, sie habe bei der Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke „mitgeschossen“, weil sie Hass und Hetze geschürt habe.

Einar Koch: Wenn Sie an Deutschland denken in der Nacht…

Rupert Scholz: …bin ich zwar nicht um den Schlaf gebracht, aber es besteht durchaus die Gefahr, dass es kritisch zu beobachtende und zu kontrollierende Entwicklungen hinsichtlich verfassungsrechtlich problematischer Einschränkungen der Meinungsfreiheit gibt.

Einar Koch: Womöglich noch in dieser Woche wird das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig über Faesers Compact-Verbot entscheiden. Der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) geht davon aus, dass das Verbot Bestand haben wird. Wie lautet Ihre Prognose?

Rupert Scholz: Bei Herrn Baum scheint mir der Wunsch der Vater des Gedankens zu sein. Ich bleibe dabei: Das Compact-Verbot ist verfassungswidrig, weil hier mit Hilfe des Vereinsrechts die vom Grundgesetz garantierte Pressefreiheit ausgehebelt wird. Man kann das von Frau Faeser verbotene Magazin mögen oder auch nicht, man mag es ablehnen. Das allein rechtfertigt noch kein Verbot. Artikel 5 des Grundgesetzes stellt die Presse- und Rundfunkfreiheit unter besonderen Schutz, sofern nicht gegen Strafgesetze verstoßen wird – was ich aufgrund der Begründung des Compact-Verbots noch nicht erkennen kann.

Einar Koch: Vielfach wird das Compact-Verbot mit der „Spiegel“-Affäre von 1962 verglichen…

Rupert Scholz: Die Fälle sind nicht vergleichbar. Damals ging es um den absurden Vorwurf des Landesverrates und der Staat ging direkt gegen den „Spiegel“ und dessen Redaktion vor, während man das Compact-Verbot über Artikel 9 des Grundgesetzes, also das Vereinsrecht aufgezogen hat.

 

*Einar Koch, Jahrgang 1951, war von 1992 bis 2003 Leiter der Parlamentsredaktion der „Bild“-Zeitung in Bonn und Berlin, Politik-Chef des Blattes und zuletzt Politischer Chefkorrespondent.

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