Journalisten aus aller Welt waren eigens nach Halle gereist, vor dem Landgericht hatten sich die üblichen Anti-AfD-Demonstranten eingefunden, um ein Parteiverbot zu fordern, aber nach wenigen Stunden war der erste Prozesstag im Verfahren gegen den Thüringer Fraktions- und Parteivorsitzenden der AfD Björn Höcke auch schon wieder vorbei. Sehr zum Verdruss von Staatsanwalt Benedikt Bernzen, der erst am Nachmittag überhaupt Gelegenheit bekam, seine Anklageschrift vorzutragen, und vom Vorsitzenden Richter Jan Stengel nachdrücklich zur Ruhe ermahnt werden musste.
Der Vorwurf der „Volksverhetzung“, dessentwegen der Thüringer AfD-Politiker jetzt erstmals vor Gericht steht, erschließt sich dem unvoreingenommenen Außenstehenden nicht ohne weiteres. Höcke wird zur Last gelegt, bei zwei Veranstaltungen in Merseburg im Mai 2021 sowie ein weiteres Mal in Gera im Dezember 2023 öffentlich eine „verbotene Parole“ der NSDAP-Parteimiliz SA ausgesprochen zu haben.
Höcke hatte die rhetorische Klimax „Alles für unsere Heimat, alles für Sachsen-Anhalt, alles für Deutschland“ verwendet – letzteres soll die „SA-Parole“ sein, die nach Auffassung der Anklage gemäß § 86a StGB den Tatbestand der „Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“ erfülle. Der „Grünen“-Chef von Sachsen-Anhalt Sebastian Striegel hatte ihn deswegen angezeigt und das Verfahren in Gang gebracht.
Für eine Verurteilung müsste die Staatsanwaltschaft den Nachweis erbringen, dass dem Politiker der verbotene Charakter der inkriminierten Worte bewusst gewesen sei und dass er sie absichtlich in diesem Sinne verwendet habe. Die Anklage argumentiert, als Geschichtslehrer hätte ihm das bekannt sein müssen; Höcke beteuert, das nicht gewusst zu haben, für ihn sei der Spruch eine „Allerweltsfloskel“.
Vielen Normalbürgern, die sich nicht hauptberuflich mit „Nazi“-Riecherei beschäftigen, dürfte es ähnlich ergehen. Tatsächlich wurde die Wortkombination von allen möglichen Akteuren schon verwendet, selbst von einem „Spiegel“-Kolumnisten. Selbst Elon Musk hatte kürzlich auf der Plattform „X“ den Kopf geschüttelt über diese deutschen Befindlichkeiten und sich gewundert, dass eine solche Aussage tatsächlich „verboten“ sein solle.
Björn Höckes Verteidigerteam, das mehrfach gewechselt hatte, zog alle Register, um den Ausnahmecharakter des Verfahrens deutlich zu machen. Die Anwälte verlangten, von der Verhandlung vollständige Tonaufzeichnungen anzufertigen, um verkürzenden Zitierungen und einer „politischen Geheimjustiz“ vorzubeugen; das Gericht lehnte ab.
Zudem sei nicht das Landgericht Halle zuständig, sondern das Amtsgericht Merseburg, monierte der Staatsrechtler Ulrich Vosgerau als Mitglied des Verteidigerteams, und verlangte die Überprüfung einer gegenteiligen Entscheidung des Oberlandesgerichts Naumburg durch das Bundesverfassungsgericht.
Vosgerau hält die Verlegung der Verhandlung in einen Hochsicherheitssaal mit Panzerglas, in dem normalerweise Verhandlungen gegen IS-Terroristen oder kriminelle Rocker stattfinden, als Teil einer „Inszenierung“, die es Björn Höcke von vornherein verwehren solle, als ganz normaler Bürger vor Gericht aufzutreten.
Tatsächlich steht für Björn Höcke einiges auf dem Spiel: Im Falle einer Verurteilung wäre eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren möglich. Bei einer Haftstrafe von sechs oder mehr Monaten könnte das Gericht ihm das aktive und passive Wahlrecht sowie die Fähigkeit zum Bekleiden öffentlicher Ämter entziehen, mit anderen Worten: ihm sein Landtagsmandat nehmen und seine Spitzenkandidatur für die Landtagswahlen im September torpedieren.
Björn Höcke selbst plant nicht für diesen Fall. Doch schon die im Raum stehende Drohung macht den Prozess zu einem fragwürdigen Politprozess. Die Parallelen zum juristischen Feldzug der US-Demokraten gegen Bidens Amtsvorgänger und möglichen Nachfolger Donald Trump sind augenfällig.
Er unterstütze weder den einen noch den anderen, merkt der emeritierte Professor der Volkswirtschaftslehre Ulrich van Suntum auf „X“ an – „aber dass Politiker mitten im Wahlkampf mit fragwürdigen Vorwürfen vor Gericht gezerrt werden, statt sich politisch fair mit ihnen auseinanderzusetzen, wirft ein sehr schlechtes Licht auf den Zustand der westlichen Demokratien“.
Der nächste von insgesamt drei weiteren angesetzten Verhandlungstagen ist für den kommenden Dienstag (23. April) vorgesehen. Eine Entscheidung wird Mitte Mai erwartet; eine Sprecherin des Gerichts hält allerdings für denkbar, dass weitere Termine dazukommen.