Der deutsche Verfassungsschutz passe nicht zu einer liberalen Demokratie – es sei höchste Zeit, ihn abzuschaffen, meint der Berliner Korrespondent der „Neuen Zürcher Zeitung“ (NZZ), Oliver Maksan. In einem bemerkenswerten Leitartikel vor dem Hintergrund des aktuellen Rechtsstreits zwischen AfD und Verfassungsschutz um die Beobachtung der Partei mit nachrichtendienstlichen Mitteln kritisiert das liberal-konservative Schweizer Leitmedium, dass der deutsche Inlandsgeheimdienst längst zu einem politischen Akteur geworden sei.
NZZ-Redakteur Maksan schreibt einleitend: „Deutschland begreift seinen Inlandgeheimdienst als demokratisches Frühwarnsystem, das weit vor jeder Straftat anschlägt. Damit geht die Bundesrepublik einen autoritären Sonderweg. Sie sollte ihn schleunigst beenden, will sie die Demokratie nicht weiter schwächen.“
Misstrauen gegenüber den eigenen Bürgern
Der Autor analysiert: Der deutsche Staat traue seinen Bürgern nicht über den Weg und sehe sich ständig bedroht. Dieser aus dem Versagen der Weimarer Republik abgeleitete „permanente Ausnahmezustand aus Prinzip“ sei vom Bundesverfassungsgericht als „wehrhafte Demokratie“ gebilligt worden. „Je nach gefühlter Bedrohungslage produziert er illiberale Exzesse. Wie derzeit“, kritisiert Oliver Maksan und merkt weiter an: „In immer engerer Taktung präsentiert die deutsche Regierung Maßnahmen, die dem Schutz des Staates und der Demokratie dienen sollen, beide tatsächlich aber beschädigen.“ Der NZZ-Kommentator verweist in diesem Zusammenhang beispielhaft auf die Ankündigung von Bundesfamilienministerin Lisa Paus („Grüne“), gegen Meinungsäußerungen im Netz auch dann vorzugehen, wenn diese keinen Straftatbestand darstellen würden.
Was heißt hier eigentlich „Verhöhnung“?
Mit Verweis auf die ultralinke Bundesinnenministerin und deren „Maßnahmenbündel gegen Rechtsextremismus“ zitiert der Autor Nancy Faeser (SPD) wörtlich: «Diejenigen, die den Staat verhöhnen, müssen es mit einem starken Staat zu tun bekommen!»
Maksan schreibt: Ganz abgesehen davon, dass es sich bei «Verhöhnung» um einen schwammigen Begriff handele, gehe es auch laut Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang (CDU) um «staatswohlgefährdendes Verhalten» unterhalb der Grenze zur Strafbarkeit.
Deutschland hat keine klassisch liberale Verfassung
In seinem bemerkenswerten Kommentar nimmt der NZZ-Autor Bezug auf den Berliner Verfassungsrechtler Christoph Möllers. Der habe darauf aufmerksam gemacht, dass das Grundgesetz eben keine klassisch liberale Verfassung sei wie beispielsweise die amerikanische oder die französische. Geist und Buchstabe des Grundgesetzes folgten nicht der Logik, dass alles erlaubt sei, was nicht verboten ist.
Maksan folgert: „Der deutsche Inlandgeheimdienst wird von daher ganz im Sinne des Grundgesetzes auch und gerade dann aktiv, wenn Personen oder Gruppen gegen keinen einzigen Paragrafen des Strafgesetzbuches verstoßen haben. Es reicht, wenn aufgrund ihrer Einstellungen Grund zur Annahme besteht, dass sie die freiheitlich-demokratische Grundordnung ganz oder teilweise beseitigen wollen.“
Verfassungsschutz wird zum politischen Akteur
Dabei gehe der Inlandsgeheimdienst in mehreren Schritten vor. Sie reichen vom bloßen Prüf- über den Verdachts- bis hin zum Beobachtungsfall als höchster Stufe. Die nachrichtendienstliche Beobachtung einer «gesichert extremistischen Bestrebung» durch den Verfassungsschutz berühre naturgemäß zahlreiche als Abwehrrechte gegen den Staat konzipierte Grundrechte. „Die Unschuldsvermutung kommt, anders als im Strafrecht, nicht zum Tragen“, stellt der Autor fest und beleuchtet kritisch das Agieren des Kölner Bundesamtes im Fall der AfD. Diese sehe sich im politischen Wettbewerb vom Verfassungsschutz benachteiligt. „An den Haaren herbeigezogen ist das nicht“, konstatiert Maksan. Der Verfassungsschutz werde „vom Beobachter zum politischen Akteur“. Behördenleiter Haldenwang zeige eine „unübersehbare Tendenz, politischen Erwartungen zu entsprechen“.
Beschränkung auf Kernaufgaben
Der Berliner Korrespondent der „Neuen Zürcher Zeitung“ resümiert: „Es wäre für die deutsche Demokratie deshalb besser, sie reihte ihr Tun ein in die Praxis aller anderen liberalen Rechtsstaaten und würde den Verfassungsschutz in seiner jetzigen Form abschaffen. Dessen analytische Kompetenzen könnten problemlos den Staatsschutzabteilungen der Polizei zugeordnet werden, die schon jetzt politisch motivierte Straftaten bekämpfen. Was bliebe, wäre ein entschlackter Inlandgeheimdienst, der sich um klassische Kernaufgaben wie Spionage- und Sabotageabwehr kümmert.“
System-Presse als Handlanger des Staates
Abschließend teilt der NZZ-Autor gegen die Mainstream-Medien aus: „Selbst Journalisten sehen sich als verlängerten Arm des Staates und fordern, unbesehen dessen Wertungen zu übernehmen.“ So habe der Deutsche Journalisten-Verband kürzlich dazu aufgerufen, „die Warnhinweise des Verfassungsschutzes denen auf Zigarettenschachteln gleich zu verbreiten.“