52 Prozent des Stromverbrauchs in Deutschland werde im Jahr 2023 aus „Erneuerbaren Energien“ sein. Diese irreführende Propagandameldung verbreitete zum Jahresausklang die vom Bundespresseamt subventionierte Deutsche Presse-Agentur (dpa). Bei genauerer Betrachtung stellt sich heraus: viel Wind um nichts! Polit-Insider Einar Koch geht der Sache auf den Grund.
VON EINAR KOCH*
„Erstmals entfiel mehr als die Hälfte des Bruttostromverbrauchs in Deutschland auf Erneuerbare Energien. Insgesamt wird so viel Strom klimaneutral erzeugt wie noch nie zuvor.“ Das posaunte die halbamtliche Deutsche Presse-Agentur (dpa) am Montag (18. Dezember) unter Berufung auf das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) und den Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW).
ZSW und BDEW gehen 2023 dabei von einem Bruttostromverbrauch von rund 517,3 Milliarden Kilowattstunden aus. Davon werde „im zu Ende gehenden Jahr knapp 52 Prozent des Bruttostromverbrauchs auf Erneuerbare Energien“ entfallen. Das seien fünf Prozentpunkte mehr als im Vorjahr. „Die Zahlen zeigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind“, trompetete die Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung, Kerstin Andreae.
Eine Milchmädchenrechnung
Tatsächlich ist die Aussage, über die Hälfte des Stromverbrauchs sei „grün“, eine irreführende Milchmädchen-Rechnung. Genau genommen handelt es sich sogar um eine Art Geldwäsche, bei der aus (teil)fossilem Importstrom plötzlich „grüner“ Inlandsstrom wird. Denn: „Grün“ erzeugter Strom wird in Deutschland mangels Leitungskapazitäten nicht nur nicht genutzt, sondern auch für hohe Geldbeträge gegen „bunten“ Strom aus dem Ausland (Kernkraft, Kohle) getauscht, der dann in Deutschland verbraucht wird. Gleichwohl wird dieser Strom dann in der Bilanz indirekt den „Erneuerbaren“ zugeschlagen.
Strom ist nicht gleich Energie
Zudem erweckt die dpa-Meldung bei vielen Menschen den sorglosen Eindruck, Wind und Sonne sowie in weit geringerem Maße auch Biomasse würden bereits zur Hälfte Deutschlands Energieversorgung decken. Dabei wird unterschlagen, dass elektrische Energie nur etwa ein Sechstel des sogenannten Primärenergieverbrauches ausmacht!
2022 betrug dieser laut Umweltbundesamt insgesamt 3.264 Terawattstunden (TWh), wovon nur etwa 552 TWh auf Strom entfielen. Der Großteil des Energiebedarfs hierzulande entfällt aufs Heizen – meist in Form von Gas, Öl und Kohle – sowie Treib- und Kraftstoffe. Die Aussage „50 Prozent grüner Strom“ ist daher ungefähr gleichbedeutend mit „8,5 Prozent grüne Primärenergie“ – was wiederum die Jubelmeldung der Deutschen Presse-Agentur deutlich relativiert.
Äpfel und Birnen
Die physikalische Realität ist aber noch komplizierter, als es die windige dpa-Meldung suggeriert. Denn: Im April 2023 wurden auch die letzten deutschen Kernkraftwerke vom Netz genommen, so dass der Anteil an CO₂-freiem Kernstrom in der Folge auf null sinken wird. Kernkraftwerke sind jedoch nicht die einzigen abgeschalteten Kraftwerke. Solange es für diese keinen Ersatz gibt, kommt der fehlende Strom aus unseren Nachbarländern.
Bedeutet: Werden deutsche Kraftwerke abgeschaltet, sinkt aber auch eine wichtige Bezugsgröße – die inländische Stromerzeugung. Hinter dem steigenden Anteil des „in Deutschland erzeugten Stroms“ steckt also in Wirklichkeit vor allem der gestiegene Stromimport seit dem endgültigen AKW-Aus in Deutschland. Importierter Strom fließt allerdings nicht in die deutsche Statistik ein, so dass die Bezugsgröße – die Stromerzeugung insgesamt – real gesunken ist.
Das wiederum bedeutet nach Adam Riese: Solange die Erzeugung der „Erneuerbaren“ aber weniger stark sinkt als die der konventionellen heimischen Quellen, steigt der „erneuerbare“ Anteil sogar dann, wenn Wind, Sonne & Co. weniger Strom liefern würden.
Der guten Vollständigkeit halber: Die Industrie betreibt vielfach eigene Kraftwerke. Diese zählen ebenfalls nicht zur statistisch erfassten innerdeutschen Stromerzeugung. Ebenso wenig wird die CO₂-Bilanz des importierten Stroms berücksichtigt. Polnischer Kohlestrom scheint in den Statistiken daher weniger schädlich als solcher aus deutschen Kohlekraftwerken.
Mit anderen Worten: Die vermeintliche Jubelmeldung der Deutschen Presse-Agentur entspricht dem sprichwörtlichen Vergleich von Äpfel und Birnen!
*Einar Koch, Jahrgang 1951, war von 1992 bis 2003 Leiter der Parlamentsredaktion der „Bild“-Zeitung in Bonn und Berlin, Politik-Chef des Blattes und zuletzt Politischer Chefkorrespondent.