Der renommierte britische Rechtsprofessor William Bowring hat das seiner Meinung nach unfaire Gerichtsverfahren gegen den israelisch-moldawischen Geschäftsmann und pro-russischen Politiker Ilan Shor scharf kritisiert. Dessen Rechte gemäß der Europäischen Menschenrechtskonvention EMRK würden gravierend verletzt, stellt Bowring in einer Ausarbeitung (Report) fest. Der Top-Jurist sieht im Strafverfahren gegen Shor in der pro-westlich orientierten Republik Moldau (Moldawien) eine Vorverurteilung, berichtete dieser Tage das israelische Nachrichtenportal „Israel National News“.
Ein Berufungsgericht der Republik Moldau hatte den pro-russischen Geschäftsmann Ilan Shor und Vorsitzenden der gleichnamigen Shor-Partei im Frühjahr in Abwesenheit wegen angeblichen Betruges und Geldwäsche zu 15 Jahren Haft verurteilt. Außerdem forderte das Gericht erneut dessen Auslieferung aus Israel, wohin Shor 2019 geflohen war. Ein erstes Gerichtsurteil aus dem Jahr 2017 hatte noch eine Gefängnisstrafe von siebeneinhalb Jahren vorgesehen.
Bemerkenswert ist, dass sich Bowring jetzt zur Causa Shor äussert. Der Brite ist Professor für Rechtswissenschaften an der Universität London und gilt als Experte für Rechtssysteme in Staaten der ehemaligen Sowjetunion. In mehr als 100 verschiedenen Verfahren, die Teilrepubliken der früheren UdSSR betrafen, machte er gutachterliche Aussagen.
Bowrings aktuelle Stellungnahme im Fall Ilan Shor erfolgt aus folgendem Anlass: Das Bezirksgericht für den District of Columbia (Washington) verhängte gegen den moldauischen Staatsbürger und früheren Mitarbeiter des Internationalen Währungsfonds (IWF) Matei Dohotaru kürzlich eine Geldstrafe in Höhe von 500 bzw. 1.000 Dollar, weil dieser zwei Vorladungen nicht nachgekommen war.
Shor hatte das US-Gericht gebeten, eine Aussage gegenüber Dohotaru im Zusammenhang mit dem Strafverfahren in Moldawien zuzulassen. Dohotaru war einer der Hauptzeugen gegen Shor beim Prozess in Moldawien. Shor bestreitet Dohotarus Aussagen sowie dessen Glaubwürdigkeit als Zeuge. Shors Anwälte sehen vor diesem Hintergrund jetzt gute Erfolgsaussichten für eine geplante Berufung beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Luxemburg. Bowrings eingangs zitierte Expertise bedeutet zweifellos Rückenwind für das Shor-Lager.
Denn: Der britische Rechtswissenschaftler ist nicht irgendein wirrer Jura-Professor. Er war an einer Mission beteiligt, die im Auftrag des Zentrums für die Unabhängigkeit von Richtern und Anwälten (CIJL) der Internationalen Juristenkommission (ICJ) die Zustände im Justizwesen Moldawiens untersuchte. Die Mission wurde von der Ex-Präsidentin des Internationalen Gerichtshofs (IGH) in Den Haag, Claire L’Heureux-Dubé, geleitet, einer ehemaligen Richterin am Obersten Gerichtshof Kanadas.
Bei dieser Mission wurden ernsthafte Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Justizsystems in der pro-westlich orientierten Republik Moldau laut sowie schwere Bedenken hinsichtlich systematischer Korruption und mangelnder Unabhängigkeit deutlich. Der Bericht der Mission vergleicht das Justizsystem Moldawiens mit „Telefonjustiz“. Ein Richter oder eine Richterin könne in politisch heiklen Fällen nahezu sicher sein, einen Anruf vom örtlichen Parteisekretär zu erhalten.
In seinem Bericht überprüfte und fasste Bowring eine Reihe veröffentlichter Berichte zusammen, aus denen hervorgehe, dass es systemische Probleme bezüglich der Unabhängigkeit der moldauischen Justiz gebe und dass das moldauische Strafjustizsystem anhaltender politischer Einflussnahme ausgesetzt sei. Die Ergebnisse basieren auf Berichten renommierter internationaler Gremien, darunter auch des Internationalen Gerichtshofs (IGH).