Als Friedrich Merz vor 16 Monaten im dritten Anlauf doch noch zum CDU-Chef gewählt wurde, hatte die Partei große Hoffnungen in ihn gesetzt: Der ewige Möchtegern wollte die CDU aus ihrem Tief herausholen, die AfD „halbieren“ und der Union den Weg zurück ins Kanzleramt ebnen. Inzwischen ist die CDU/CSU ein einziger zerstrittener Trümmerhaufen und Merz so unbeliebt wie nie. Hinter den Unions-Kulissen tobt ein brutaler Machtkampf, bei dem Angela Merkel (CDU) nach Kräften mitzuwirken scheint.
Neue repräsentative Umfrageergebnisse (INSA) sind für Merz eine knallende Ohrfeige:
► Bei einer Direktwahl des Kanzlers hätte der Sauerländer gegen Olaf Scholz (SPD) klar das Nachsehen. Nur 16 Prozent würden für Merz stimmen, immerhin noch 25 Prozent für den Totalversager Scholz. Ein Armutszeugnis!
► Nur jeder dritte Unions-Anhänger ist mit Merz zufrieden. Lediglich 34 Prozent bescheinigen ihm eine „gute Arbeit“ als Partei- und Fraktionschef.
► In den Umfragen kommt die Union nicht vom Fleck, während die AfD die von der Anti-Deutschland-Ampel enttäuschten Wähler scharenweise einsammelt und in 16 Monaten MERZ-CDU rund zehn Prozentpunkte zulegen konnte.
NRW-Wüst bringt sich in Stellung gegen Merz
Der Zeitpunkt dürfte kein Zufall gewesen sein: Exakt zum „Kleinen Parteitag“ (Bundesausschuss) der CDU über ihr neues Grundsatzprogramm meldete sich vergangene Woche Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) mit einem Gastbeitrag in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ zum künftigen Kurs der Union zu Wort.
Die Kernbotschaft lautete: „Wir machen Politik mit dem Herzschlag der Mitte (…) Wer nur die billigen Punkte hervorhebt und sich mit Populisten gemein macht, legt die Axt an die eigenen Wurzeln und stürzt sich selbst ins Chaos.“ Eine klare Kampfansage an den CDU-Bundesvorsitzenden Friedrich Merz!
A propos: Bei „Gastbeiträgen“ in der FAZ sollte man als CDU-Chef besonders hellhörig werden. Den Anfang vom Ende der Ära Kohl läutete im Dezember 1999 mit einem FAZ-„Gastbeitrag“ die damalige CDU-Generalsekretärin Angela Merkel ein. Steckt sie in Wirklichkeit auch diesmal hinter dem „Gastbeitrag“ in der FAZ? Nicht wenige im Merz-Lager vermuten, dass die Masseneinwanderungskanzlerin bei dem Wüst-Text die Feder geführt hat, um ihren Erzrivalen Merz vom CDU-Sockel zu stürzen.
Wüst und den schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Daniel Günther (CDU) darf man jedenfalls zu den in der Union noch immer bzw. wieder tonangebenden schwarz-„grünen“ Merkelianern rechnen. Sie wollen die vermeintlich „bürgerlich“ gewendete Merz-Union auf den alten strammen Linkskurs von Merkel zurückführen.
► Indiz 1: Mit dem gleichermaßen ausgeleierten wie inflationären Schlagwort von der „Mitte“ will Wüst jenen entgegentreten, die mit Blick auf die steigenden Umfragewerte der AfD eine härtere Gangart in der Oppositionspolitik vom vermeintlichen Hardliner (tatsächlich aber Weichei) Merz einfordern.
► Indiz 2: Wüst hatte kürzlich mit der Verleihung des höchsten Ordens des Landes Nordrhein-Westfalens („NRW-Staatspreis“) an Merkel und einer überschwänglichen Laudatio auf deren verhängnisvolle Amtszeit aufhorchen lassen. Ihren Kurs wolle er in der Union unbedingt fortgesetzt wissen. Merkel habe Deutschland und Europa „sicher und kraftvoll“ durch alle Krisen „navigiert“.
► Indiz 3: Um zu illustrieren, wie ein „moderner“ CDU-Kurs aus seiner Sicht aussieht, hat Wüst einen klassischen Kern des Werteverständnisses der Union ins Visier genommen: das Familienbild. Natürlich sei Familie wichtig – „aber wenn es um Chancengleichheit in Bildung und Beruf geht, wird bei vielen Kindern allein die eigene Familie nicht helfen können. Dort kommt es auf staatliche Förderung, Betreuung und Bildung an. Wenn das Versprechen vom Aufstieg durch Bildung wieder Gültigkeit besitzen soll, ist der Staat in diesen Fällen gefordert.“ Angela Merkel lässt grüßen!
Die Ratten verlassen das sinkende Schiff
Bei Merz liegen inzwischen die Nerven blank. Wie blank, wurde am Sonntagabend (18.Juni) im ZDF deutlich. Auf mögliche Kanzler-Ambitionen Wüsts angesprochen, sagte der CDU-Chef, er befasse sich nicht mit „Personalspekulationen“ – um sodann eine volle Breitseite gegen Wüst abzufeuern: „Die Unzufriedenheit auch in den Ländern, auch, leider, in Nordrhein-Westfalen, aus dem ich ja komme, mit der Landesregierung ist fast genau so groß wie die mit der Bundesregierung.“
Wie angezählt Merz inzwischen ist, macht ganz aktuell eine Personalie aus der CDU-Parteizentrale deutlich: Der wichtigste strategische Berater von Merz, Markus Kerber, räumt einem Medienbericht zufolge sein Büro im Konrad-Adenauer-Haus. Der Wirtschaftswissenschaftler war bis 2017 Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), diente unter Wolfgang Schäuble (CDU) als „Abteilungsleiter Grundsatzfragen und internationale Analysen“ im Bundesinnenministerium, wechselte später ins Bundesfinanzministerium und war zuletzt bis 2021 Staatssekretär im Innenministerium.
Auch wenn in der Politik Vergleiche zur Tierwelt eine heikle Sache sind, so drängt sich eine Analogie unweigerlich auf: Die Ratten verlassen das sinkende Schiff! Die Redewendung rührt von dem alten Glauben der Seeleute her, dass Ratten den Untergang eines Schiffes als Erste kommen sehen und sich davonmachen.