USA – Russland – Ukraine: Der lange Weg in die militärische Auseinandersetzung

24. Februar 2022: Die russische Armee beginnt ihre „militärische Spezialoperation“ in der Ukraine. Für die USA und den Westen ist klar: Das ist ein „völkerrechtswidriger Angriffskrieg“, und Russland ist der alleinschuldige Aggressor. Aber so einfach ist die Sache in keinem Krieg – auch nicht in diesem. Jeder kriegerische Konflikt hat eine Vorgeschichte. Und die Vorgeschichte der militärischen Auseinandersetzung in der Ukraine beginnt mindestens 25 Jahre früher.

Rückblende. 1997: Zbigniew Brzezinski, langjähriger Sicherheitsberater vieler US-Regierungen, veröffentlicht sein Buch „Die einzige Weltmacht“ und packt eine alte geopolitische These wieder aus: Wer das „Herzland“ beherrscht, beherrscht Europa.

Im Zentrum des „Herzlands“: Die Ukraine. Sie muss dem russischen Einfluss entzogen werden und auf diese Weise Russland aus Europa verdrängt werden, sagt Brzezinski. Dann wäre Russland kein eurasisches Reich mehr, sondern nur noch eine asiatische Regionalmacht. 

Vor allem aber muss verhindert werden, dass die Technologie- und Wirtschaftsmacht Deutschland und die Rohstoffmacht Russland immer engere Beziehungen knüpfen. Denn dann würde in Europa ein Gegengewicht zur „einzigen Weltmacht“ USA entstehen.

Von da an schaltet die amerikanische Außenpolitik um. Die Zurückdrängung Russlands ist nun das große geopolitische Ziel. Die ehemaligen Ostblockstaaten und Sowjetrepubliken sind dafür der geeignete Hebel.

1990 verspricht der damalige US-Außenminister James Baker dem letzten Machthaber der Sowjetunion Michail Gorbatschow, dass die Nato sich nicht über das bisherige Bündnisgebiet hinaus nach Osten ausdehnen wird. Der ehemalige deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher hat dies 1992 in Anwesenheit Bakers vor laufenden Fernsehkameras bestätigt.

Das war die Voraussetzung für die deutsche Wiedervereinigung und den Abzug aller sowjetischen Truppen aus allen früheren Warschauer-Pakt-Staaten und aus der ehemaligen „DDR“. Die Deutschen verdanken diesem freiwilligen Rückzug der Truppen nach Russland ihre staatliche Einheit und die Osteuropäer ihre Freiheit.

Nach 1997 kassieren die USA stillschweigend dieses Versprechen. Die Zeichen stehen jetzt auf Nato-Osterweiterung. 14 osteuropäische Staaten sind seither dem von den USA geführten Bündnis beigetreten: 

1999 – Polen, Tschechien und Ungarn
2004 – Estland, Lettland, Litauen, Slowakei, Slowenien, Bulgarien und Rumänien
2009 – Albanien und Kroatien
2017 – Montenegro
2019 – Nordmazedonien

Russland hat die ersten beiden Nato-Erweiterungsrunden trotz des westlichen Wortbruchs hingenommen. Das chaotische erste Jahrzehnt nach dem Zerfall der Sowjetunion, in dem sich Russland den ökonomischen Radikalkuren amerikanischer Berater ausgeliefert hatte, hatten das Land geschwächt.

Der neue russische Präsident Wladimir Putin, der seit der Jahrtausendwende Russland stabilisierte, hat sich auch damit abgefunden, dass seine Angebote für eine gemeinsame europäische Sicherheitsarchitektur und Freihandelszone, wie er sie zum Beispiel im September 2001 im Deutschen Bundestag und noch mehrmals danach vorgebracht hatte, zurückgewiesen wurden.

Vor der dritten Erweiterungsrunde hat Putin aber eine „rote Linie“ gezogen. Mit einer weiteren Ausdehnung der Nato auf ehemalige Sowjetrepubliken und amerikanischen Truppenstationierungen in solchen Ländern wäre diese rote Linie überschritten, erklärte Putin 2007 auf der Münchner Sicherheitskonferenz.

Russland nahm damit dieselbe geopolitische Logik für sich in Anspruch, mit der die Amerikaner sich 1962 der Stationierung sowjetischer Raketen auf Kuba vor der Haustür der USA widersetzt hatten. Um einen drohenden Atomkrieg abzuwenden, hatte die Sowjetunion damals einen Rückzieher gemacht. 

Die USA aber verfolgen weiter das Ziel, die Ukraine und Georgien in ihren Machtbereich einzubeziehen. Mit der Forderung, diese Länder zu Nato-Beitrittskandidaten zu machen, können sie sich auf dem Bukarester Nato-Gipfel von 2008 noch nicht durchsetzen. Vor allem Deutschland und Frankreich widersetzen sich.

Anfang 2014 stürzt der von den USA orchestrierte „Maidan“-Putsch die Regierung von Wiktor Janukowytsch, der die Ukraine zwischen der EU und Russland positionieren wollte, und installiert eine pro-amerikanische Regierung mit importierten Statthaltern. Finanzministerin wird eine US-Investmentbankerin, die im Schnellverfahren einen ukrainischen Pass erhielt.

Es ist ein geostrategischer Schachzug, der sich gegen Russland richtet. Die USA machen daraus auch gar kein Geheimnis. Präsident Obama verspottet Russland im März 2014 als „Regionalmacht“, die „Schwäche“ zeige – eine deutliche Anspielung auf die geopolitische Strategie, die Zbigniew Brzezinski 1997 formuliert hatte. Im amerikanischen „Weltmacht“-Schach ist die Ukraine nur ein Bauer.

Russland reagiert auf den Putsch mit der Unterstützung eines Aufstands im „Donbass“, den mehrheitlich russisch besiedelten ostukrainischen Bezirken Luhansk und Donezk, die sich als „Volksrepubliken“ für unabhängig erklären. Der dadurch geschaffene Konfliktherd soll einen Nato-Beitritt der Ukraine auf absehbare Zeit unmöglich machen.

Aus russischer Sicht bestand die Gefahr, dass die Ukraine den Amerikanern strategisch wichtige Stützpunkte einräumen würde, von denen aus das russische Kernland bedroht werden könnte. Moskau musste befürchten, dass Kiew auf Druck der USA über kurz oder lang den Pachtvertrag für den Flottenstützpunkt Sewastopol auf der Krim in Frage stellen würde. Die traditionsreiche russische Schwarzmeerflotte wäre dann heimatlos. 

Die Halbinsel Krim war historisch nie Teil der Ukraine gewesen, bis sie 1954 von Sowjet-Machthaber Chruschtschow der ukrainischen Sowjetrepublik zugeschlagen worden war. Von Russland ermuntert, stimmte die fast ausschließlich russischsprachige Bevölkerung der Krim in einem Referendum, wie schon 1991, für die Unabhängigkeit und für den Anschluss an Russland.

„Fuck the EU!“ – der auf Tonband festgehaltene Fluch der US-Sondergesandten Victoria Nuland, der Drahtzieherin des „Maidan“-Putsches, wird zum Programm der amerikanischen Durchdringung der Ukraine. US-Konzerne sicherten sich mit Hilfe der proamerikanischen Kiewer Regierung Zugriff auf die Reichtümer des Landes – Schieferöl, Schiefergas, das Pipeline-Netz und die fruchtbaren Böden der Kornkammer der Welt.

Es geht um „Big Business“, aber auch um persönliche Interessen der US-Eliten, namentlich der Familie von Joe Biden, zu der Zeit Vizepräsident unter Obama. Sein korrupter und drogensüchtiger Sohn Hunter bekam einen lukrativen Vertrag bei der größten ukrainischen Erdgasfirma.

Die russische Intervention in der Ostukraine lieferte den Vorwand, den Wirtschaftskrieg gegen Russland zu verschärfen. Sanktion um Sanktion wurde verhängt und musste von der EU übernommen werden. Der Keil zwischen Russland und Europa sollte immer tiefer werden.

Hauptzielscheibe war und ist Deutschland: Es sollte von seinen für beide Seiten vorteilhaften Geschäften in Russland und von der Direktbelieferung mit billigem russischem Erdgas über die Ostsee-Pipelines Nord Stream 1 und 2 abgeschnitten werden. Statt dessen soll Deutschland teures Flüssiggas aus den USA kaufen.

Gleichzeitig pumpen die USA Milliarden an Finanz- und Militärhilfen in die Ukraine, die Zug um Zug komplett vom Westen abhängig wird. Ausbilder der US-Armee sowie von amerikanischen und britischen Militärfirmen trainieren die aufgerüstete ukrainische Armee. Gegen russischen Protest stationieren die USA 2016 und 2017 Raketen in Polen und Rumänien – in Zielentfernung zu Russland.

Mit dieser Unterstützung im Rücken verweigert sich die ukrainische Regierung allen Vermittlungsversuchen. Die Minsker Abkommen, die unter anderem Waffenstillstand, Truppenabzüge und eine regionale Autonomie für Donezk und Luhansk vorsehen, werden auch von Kiew niemals umgesetzt. Die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel hat inzwischen in einem Interview zugegeben, dass diese Abkommen sowieso nur Zeit kaufen sollten, um die Ukraine weiter aufzurüsten.

Statt des zugesagten Gesetzes über einen Sonderstatus für Donezk und Luhansk erlässt die Ukraine 2018 ein „Reintegrationsgesetz“, das alle weiteren Verhandlungen verbietet und die Rückeroberung des Donbass zum Gesetzesauftrag macht. Tausende Zivilisten sterben bei den fortgesetzten Beschießungen der Siedlungen im Donbass durch die ukrainische Armee.

Die Ukraine erhebt 2019 den Beitritt zu EU und Nato zum Verfassungsziel und erlässt ein gegen nationale Minderheiten gerichtetes Sprachengesetz, das russischsprachige Bürger und ihre – in der Regel oppositionellen – Medien, Organisationen und Vereine diskriminiert und existenziell bedroht.

Im Januar 2021 zieht Joe Biden als Präsident in das Weiße Haus ein. Obamas einstiger Vizepräsident ist der Mann der Scharfmacher im militärisch-industriellen Komplex der USA und, wie wir gesehen haben, auch persönlich tief drin im Ukraine-Business. Der Nato-Beitritt der Ukraine und die Verschärfung des Konflikts mit Russland, unter Bidens Vorgänger Trump auf Eis gelegt, wird wieder zur konkreten Option.

Russlands Präsident Putin lässt seit April 2021 Truppen an der Grenze zur Ukraine zusammenziehen. Der Aufmarsch ist eine Drohkulisse, um Verhandlungen mit den USA zu erzwingen. Russlands Position ist seit 15 Jahren bekannt: Keine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine, keine Stationierung amerikanischer Truppen und Waffen auf ihrem Boden.

Die Biden-Regierung stellt sich stur – volle zehn Monate lang. Der letzte Verhandlungsversuch scheitert im Dezember 2021. Die Zeichen stehen auf Krieg. Am 24. Februar 2022 rollen die Panzer.

Seit einem Jahr zerfleischen sich russische und ukrainische Soldaten in einer blutigen und erbitterten militärischen Auseinandersetzung, die das ganze Land verwüstet. Zehntausende junge Männer fallen auf beiden Seiten.

Es ist ein Krieg mit vielen Verlierern und einem Gewinner: Den USA und ihrem militärisch-industriellen Komplex. Sie führen einen Stellvertreterkrieg gegen den geopolitischen Rivalen Russland – bis zum letzten Ukrainer und bis zum Ruin der Deutschen und Europäer.

Ihre wesentlichen Kriegsziele sind schon erreicht. Ein tiefer Keil ist zwischen Russland und Europa getrieben. Deutschland und die Europäer müssen sich bedingungslos dem US-amerikanischen Wirtschaftskrieg anschließen, der sich nicht nur gegen Russland richtet, sondern auch gegen sie selbst. 

Deutschland ist vom russischen Markt und von russischen Rohstoffen abgeschnitten und muss teures Flüssiggas aus den USA kaufen. Nord Stream 2 ist erst gestoppt und dann gesprengt – glaubt man der US-Reporterlegende Seymour Hersh, durch die USA und ihre norwegischen Nato-Verbündeten. Die Pipeline sei nur noch „ein Haufen Metall auf dem Meeresgrund“, freut sich jedenfalls Victoria Nuland – Biden hat die Ukraine-Strippenzieherin von 2014 zu seiner Vizeaußenministerin gemacht.

Die hohen Energiepreise vertreiben produktive Unternehmen aus Deutschland und Europa. Viele gehen in die USA, die mit billiger Energie und Steuervergünstigungen locken. Bei der US-Rüstungsindustrie klingeln die Kassen – die Verbündeten bestellen nicht nur für sich selbst Waffen am Fließband, sie werden über ihre Subventionen an Kiew auch die amerikanischen Waffenlieferungen an die Ukraine bezahlen müssen, denn die sind nach dem Leih-Pacht-Gesetz nur auf Pump. Und über ihre eigenen Waffenlieferungen werden die Europäer Zug um Zug selbst zur Kriegspartei.

Für die USA ist der Krieg in sicherer Entfernung ein glänzendes Geschäft. Den Preis bezahlen andere.

 

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