Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, hat erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit einer allgemeinen Impfpflicht geäußert. „Auf der Basis des jetzigen Wissens- und Erkenntnisstands kann man meines Erachtens nicht überzeugend begründen, dass eine allgemeine gesetzliche Impfpflicht den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit entsprechen wird“, schreibt Papier in einer Beurteilung, aus der die Zeitungen der Funke-Mediengruppe zitieren. Die Frage sei überhaupt nicht entscheidungsreif, betont der Top-Staats- und Verfassungsrechtler.
Seit einigen Wochen werde von Politikern vollmundig die umgehende Einführung einer allgemeinen Impfpflicht gefordert, kritisiert Papier und sieht allein schon technische Hürden mit weitreichenden rechtlichen Problemen. Es werde „fahrlässigerweise nicht bedacht, dass eine tragfähige gesetzliche Regelung, die den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt und die auch zügig und einigermaßen erfolgversprechend ohne langwierigen Aufbau eines bürokratischen Wasserkopfs umgesetzt werden kann, auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen wird.“
Mit Blick auf die Erforderlichkeit einer Impfpflicht verlangt Papier auch eine Klärung, „ob infolge der Omikron-Mutante oder möglicherweise neuer in der Zukunft auftretender Mutanten ohne allgemeine Impfung immer noch schwerwiegende Erkrankungen in nennenswertem Umfang zu befürchten wären“. Es gehe um die Verhältnismäßigkeit von Grundrechtseingriffen. Diese sei „sehr unterschiedlich – je nachdem, ob es bei einer Impfung um einen mehr oder weniger einmaligen Vorgang oder ob es um stetig zu wiederholende Impfungen der Bürgerinnen und Bürger mit möglicherweise nur eingeschränkt wirkenden Impfstoffen geht“, macht Papier deutlich.
Papier befürchtet bei Strafverfolgung „Überflutung“ der Justiz
Darüber hinaus verweist Papier auf Schwierigkeiten, die mit der Sanktionierung von Verstößen verbunden wären. „Diese folgen schon daraus, dass ein zentrales Impfregister nicht existiert und ohne größeren zeitlichen und kapazitätsmäßigen Aufwand auch nicht ausgebaut werden könnte“, schreibt der Verfassungsjurist. Impfverweigerer blieben in aller Regel den Behörden unbekannt. „Hier auf eine stichprobenartige Kontrolle zu setzen, erscheint mir ziemlich sinnlos zu sein.“
Die Verhängung von Bußgeldern für Impfverweigerer sei überdies mit einem hohen bürokratischen Aufwand verbunden – und mögliche Klagen könnten zu einer „Überflutung“ der Justiz führen. Daher stelle sich die Frage, so Papier, ob eine solche Impfpflicht gegen das Corona-Virus „ein wirklich geeignetes und verhältnismäßiges Mittel sein kann, um die intendierten Ziele und Zwecke innerhalb eines engen Zeitrahmens zu erreichen“.