Nachlese zum Autogipfel: Politik und Industrie steuern sehenden Auges in die Deindustrialisierung
Es waren hilflose Phrasen von einer, die es besser wissen müsste. Klimaschutzziele und Industriepolitik sollten zusammengedacht werden, meinte die Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie, Hildegard Müller, auf dem »Autogipfel« mit Kanzlerin Angela Merkel vergangene Woche. Die Spitzen aus Politik und Wirtschaft, die sich vor allem über Klimaziele ausgetauscht hatten, haben sicher wohlwollend genickt. Die Unternehmen bräuchten verlässliche und machbare Rahmenbedingungen, so Müller, denn »die Unternehmen stehen vor der größten Transformation in der Geschichte der Automobilindustrie und wir wollen, dass sie gelingt.«
Die »größte Transformation in der Geschichte der Automobilindustrie« wird aber nicht gelingen, zumindest nicht so, wie sich das die VDA-Präsidentin vielleicht wünscht. Die Politik ersetzt mal eben den Verbrenner durch die ideologisch hochgejubelte Elektromobilität. Das bedeutet nichts anderes als die Deindustrialisierung Deutschlands, allen voran der Autoländer Baden-Württemberg, Niedersachsen und Bayern.
Zuliefererbetriebe können sich nicht neu erfinden
Wenn ab 2030 nur noch emissionsfreie Autos zugelassen werden sollen, wie es die Grünen fordern, stehen nahezu sämtliche Zulieferer des Verbrennungsmotors vor dem Aus. Hochspezialisierte Zulieferer an Komponenten für Verbrenner können sich nicht in wenigen Jahren als Batteriehersteller neu erfinden. Der emissionsarme, langlebige und ökologisch deutlich sinnvollere Dieselmotor hat nach wie vor enormes Entwicklungspotenzial, das jetzt mutwillig ausgebremst wird. Die Entwicklung von Diesel- und Benzinmotoren ist eine deutsche Schlüsselindustrie. Deutschland ist der führende Technologiestandort.
»Die Regierung plant einen radikalen Bruch«, äußerte der verkehrspolitische Sprecher der AfD, Dr. Dirk Spaniel, gegenüber dem Deutschland-Kurier. Die Automobilindustrie rund um den Verbrenner sei ein über 100 Jahre gewachsenes, mehrere Volkswirtschaften übergreifendes Gefüge. »Selbst wenn die Physik im E-Auto und in der Energieversorgung mitspielen würde und die E-Mobilität die ökologisch und ökonomisch bessere Alternative wäre, was sie nicht ist, so würde die politisch geplante Vollbremsung unsere Volkswirtschaften komplett an die Wand fahren.«
Ohne die deutsche Motorentwicklung und -fertigung ist nach der »großen Transformation« nicht mehr viel übrig von dem, was Volkswagen, Daimler und BMW heute ausmacht. Was auf die mehr als eine halbe Tonne wiegende Batterie an Getriebe und Karosserie noch hinzukommt, wird dann in China zum fertigen Auto montiert.
850.000 gefährdete Jobs in der Autoindustrie
Wenn nun auch noch die Gewerkschaften in dasselbe Horn blasen und im Namen des Klimaschutzes einen sozial verträglichen Stellenabbau aushandeln, ist das Augenwischerei. Es geht nicht um eine Phase des Strukturwandels von der einen zur anderen Technologie. Wenn es tatsächlich soweit kommt, dass ab 2030 nur noch E-Autos zugelassen werden, sind die ehemaligen Zuliefererbetriebe schlicht nicht mehr notwendig. »Die technisch ausgereifte und hoch entwickelte Automobilindustrie basiert auf internationalen Verflechtungen in den Lieferketten«, mahnt Spaniel. Diese gewachsenen Abhängigkeiten über Branchen und Industriestandorte hinweg könne man nicht innerhalb weniger Jahre mit einer komplett neuen Antriebstechnologie nachbilden.
Was das für Hunderttausende Beschäftigte bedeutet, liegt auf der Hand. Insgesamt arbeiten derzeit in Deutschland rund 850.000 direkte Beschäftigte in der Autoindustrie. Die wenigsten der jetzt Beschäftigten werden nach der Phase des Strukturwandels das Rentenalter erreicht haben. Und Jobs bei Batterieherstellern wird es hierzulande nicht ansatzweise in vergleichbarer Zahl geben. Ungeachtet dessen ist der Wechsel in die sehr Chemie lastige Branche der Batterieentwicklung selbst mit sehr intensiven Umschulungsmaßnahmen nicht so ohne Weiteres möglich.
Das E-Auto bleibt ein Prestigeobjekt
Hinzu kommt, dass das Elektroauto auch in zehn Jahren noch ein teures Prestigeobjekt für die Oberschicht sein wird. »Wir werden mit dieser Technologie in absehbarer Zeit keinen Massenmarkt erleben«, ist sich Spaniel sicher. »Selbst dann nicht, wenn bis dahin eine reibungslos funktionierende Infrastruktur an Energieversorgung und Ladesäulen für 48,25 Millionen Pkw zur Verfügung stehen sollte.« (48,25 Millionen Pkw ist die Anzahl der in der Bundesrepublik gemeldeten Pkw, Stand 1. Januar 2021, Anmerkung der Redaktion.) Auch was die Energieinfrastruktur betrifft, sei E-Mobilität utopisch. »Ohne das Hochfahren zahlreicher Atom- oder Kohlekraftwerke funktioniert das nicht.«
Werden also ausgerechnet in den Bundesländern, in denen die meisten Arbeitsplätze am Verbrennungsmotor hängen, in den nächsten zehn Jahren mit grünen Mehrheiten grüne Ideen umgesetzt, bedeutet dies unterm Strich:
Die Zahl der zugelassenen Pkw im Mittelklasse- und Oberklassebereich wird dramatisch sinken.
Die wenigen Elektroautos, die zugelassen werden, sind dann reine Importe, auch wenn VW oder BMW vorne drauf steht.
Anstatt im Sinne der Arbeitnehmer den Abgrund klar zu benennen, auf den die deutsche Automobilindustrie zusteuert, handeln Gewerkschaften fadenscheinige Absicherungen aus für den Fall, dass in Zukunft die Auftragslage euphemistisch formuliert etwas dünner ausfallen könnte.
Sparkurs, Verlagerung und Kündigung
So fordert etwa die Betriebsratsvorsitzende im Stuttgarter Mahle-Werk, Ljiljana Culijak, im ›Deutschlandfunk‹ genug Zeit für den Wandel. Konkret spricht sie allerdings nur von »zwei Jahren Beschäftigungssicherung«. Doch was ist in zwei Jahren gewonnen? Aus dem Mahle-Werk wird bis dahin kein Lieferant für Batteriekomponenten. »Und wenn es einen Abbau gibt«, so Culijak, »dann sozial verträglich, ohne Kündigung«. Ein alternativer Begriff für Kündigung ist sicher schnell zur Hand.
Berichten des ›Deutschlandfunks‹ zufolge will Mahle allein in Deutschland 2.000 Stellen streichen. Denn das Geschäft mit Kolben und Pumpen für den klassischen Verbrenner sieht seinem erzwungenen Niedergang entgegen. Weltweit sind bei Mahle schon Tausende Arbeitsplätze dem Kampf gegen den vermeintlichen menschengemachten Klimawandel zum Opfer gefallen.
Dass der viel beschworene Strukturwandel im Detail nicht so einfach funktioniert wie in der abendlichen Talkshow mit grünen Politikern ist Insidern wie Culijak im Grunde klar: »Aber gerade so eine Transformation an einem Entwicklungsstandort müsste eigentlich Investitionen mit sich bringen, und momentan ist es nur ein Sparkurs und Verlagerung und Kündigung. Und dagegen stellen wir uns.«
Das seien nichts als leere Versprechungen, winkt Spaniel ab. »Bisher deutet nichts darauf hin, dass Politik und Gewerkschaften irgendetwas Greifbares unternehmen, um Arbeitsplätze und das Lohnniveau zu sichern.«